Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 235

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zieht sich im Innern der Partei ein Vorgang von weltgeschichtlicher Tragik: Es ist die tödliche Umklammerung der Elitetruppen des deutschen Proletariats durch die Polypenarme des deutschen Kapitals. Die Herrschaft der Partei- und Gewerkschaftsinstanzen, der Scheidemann und Genossen wie der Legien und Genossen, über die organisierte Arbeiterschaft, das ist im Kern nichts anderes als der gewaltigste Sieg der deutschen Bourgeoisie über die Arbeiterklasse, der je erfochten oder nur erträumt worden ist. Die zum Kampfe wider das Kapital unter die Fahnen der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften gelockten Massen sind heute gerade durch diese Organisationen und in diesen Organisationen unter das Joch der Bourgeoisie in einer Weise gespannt worden, wie sie es nie seit Beginn des modernen Kapitalsverhältnisses waren.

Und daraus ergibt sich auch für diejenigen ein bündiger Schluß zur Frage von „Spaltung und Einheit” der Partei, die nicht rückwärts, sondern vorwärts aus dem Zusammenbruch der Arbeiterbewegung streben. So löblich und begreiflich die Ungeduld und der bittere Groll sind, aus denen heraus sich heute die Flucht vieler der besten Elemente aus der Partei ergibt: Flucht bleibt Flucht, uns ist sie ein Verrat an den Massen, die in der würgenden Schlinge der Scheidemann und Legien, der Bourgeoisie auf Gnade und Ungnade preisgegeben, zappeln und ersticken. Aus kleinen Sekten und Konventikeln kann man „austreten”, wenn sie einem nicht mehr passen, um neue Sekten und Konventikel zu gründen. Es ist nichts als unreife Phantasie, die gesamte Masse der Proletarier aus diesem schwersten und gefährlichsten Joch der Bourgeoisie durch einfachen „Austritt” befreien zu wollen und ihr auf diesem Wege mit tapferem Beispiel voranzugehen. Das Hinwerfen des Mitgliedsbuchs als Befreiungsillusion ist nur die auf den Kopf gestellte Verhimmelung des Mitgliedsbuchs als Machtillusion, beides nur die verschiedenen Pole des Organisationskretinismus, dieser konstitutionellen Krankheit der alten deutschen Sozialdemokratie. Der Zerfall der deutschen Sozialdemokratie ist ein geschichtlicher Prozeß größter Dimensionen, eine Generalauseinandersetzung zwischen Arbeiterklasse und Bourgeoisie, und von diesem Schlachtfeld drückt man sich nicht vor Ekel auf die Seite, um im Winkel unter dem Busch reinere Luft zu atmen. Diesen Riesenkampf gilt es auszufechten bis zum Äußersten. An der tödlichen Schlinge der offiziellen deutschen Sozialdemokratie und der offiziellen freien Gewerkschaften, die die herrschende Klasse um den Hals der verirrten und verratenen Massen gelegt hat, gilt es zu zerren mit vereinten Kräften, bis sie zerreißt, und den betörten Massen gilt es in diesem schwersten Kampfe um ihre Befreiung beizustehen, sie treu mit der Brust

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