Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 205

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mit den niederen Stufen des Naturmenschentums unzertrennlich verbunden ist.”

Dieselbe Vorstellung herrscht bei Nationalökonomen vor. Die Schöpfer der bürgerlichen Nationalökonomie, Adam Smith und David Ricardo, sprechen, wenn sie auf die wirtschaftlichen Urzustände der Menschheit kommen, gewöhnlich von einem vereinzelten Urfischer und Urjäger, die einander irgendwo zufällig begegnen und miteinander ihre „Waren” austauschen. Aber auch der jetzt lebende bekannte Leipziger Professor Bücher belehrt seine Studenten, daß z. B. das naturwüchsige Volk der Buschmänner in Afrika in der „individuellen Nahrungssuche” lebe: „Jeder und jede verzehrt roh, was sie mit den Händen erhaschen oder mit den Nägeln aus dem Boden scharren.” Und was für Buschmänner, gilt nach Professor Bücher auch für die übrigen sogenannten primitiven (naturwüchsigen) Völker, die jetzt noch in den Kolonialländern leben. Des langen und breiten schildert er „die durch Jahrtausende von allen diesen Völkern geübte individuelle Nahrungssuche”. Diese Vorstellung von Einzelmenschen, die irgendwann in der grauen Vorzeit ganz allein, jeder für sich, lebten, beherrschte früher so sehr die Wissenschaft, daß selbst Lassalle von ihr befangen war. In seiner 1864 verfaßten ökonomischen Hauptschrift „Kapital und Arbeit”, wo er seinem Gegner, dem freisinnigen Konsumvereins-Apostel Schulze aus Delitzsch, den Ursprung der ökonomischen Entwicklung klarzumachen sucht, sagt er: „Werfen Sie den Blick auf den Indianer in den Urwäldern Amerikas, der, seinen Bogen in der Hand, sich seinen Lebensunterhalt erjagt.” Und er setzt Schulzen auseinander den „primitiven Zustand der individuellen, isolierten Arbeit”, in der es gar keine Arbeitsteilung, weil gar kein Zusammenarbeiten mehrerer Menschen gegeben habe.

Diese so sehr verbreitete Auffassung ist eine der falschesten und rohesten Vorstellungen, deren sich die bürgerliche Wissenschaft schuldig gemacht hat. Ihr widerspricht vor allem schon die naturwissenschaftliche Erkenntnis, daß die dem Menschen am nächsten stehenden Tierarten, wie die Affen, nicht vereinzelt, sondern stets in Banden lebend beobachtet werden. Ihr widerspricht ferner die Erwägung, daß ein im Vergleich zu anderen Tieren ursprünglich so schwach zum Kampfe ums Dasein ausgerüstetes Wesen wie der Mensch unfehlbar zugrunde hätte gehen müssen, wenn es sich nicht von allem Anfang an durch den Zusammenhalt mehrerer Individuen einigermaßen vor Gefahren zu schützen und den Lebensunterhalt sich zu erleichtern vermocht hätte. Werfen wir ferner einen Blick um uns her, so sagt uns die Beobachtung, seit die Entdeckungs- und Forschungs-

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