Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 123

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aber bis auf 2000 Meter noch ,Treffer’ erzielen kann, macht es den Heerführern ganz unmöglich, große Truppenverbände in geschlossener Marschkolonne vorwärts zu bringen. Da muß vorzeitig ,auseinandergezogen’ werden, und dieses Auseinanderziehen erfordert wieder eine viel größere Zahl von Patrouillen und eine solche Disziplin und Klarheit des Blickes nicht nur bei den Abteilungen, sondern auch beim einzelnen Mann, daß sich in diesem Kriege wirklich zeigen wird, wie erzieherisch die Gewerkschaften gewirkt haben und wie gut man sich auf diese Erziehung in so schlimmen Tagen wie den jetzigen verlassen kann. Der russische und der französische Soldat mögen Wunder an Tapferkeit vollbringen, in der kühlen, ruhigen Überlegung wird ihnen der deutsche Gewerkschafter über sein. Wozu noch kommt, daß die organisierten Leute oft in den Grenzgebieten Weg und Steg wie ihre Hosentasche kennen, daß manche Gewerkschaftsbeamte auch über Sprachkenntnisse verfügen usw. Wenn es also Anno 1866 hieß, der Vormarsch der preußischen Truppen sei ein Sieg des Schulmeisters gewesen, so wird man diesmal von einem Sieg des Gewerkschaftsbeamten reden können.” (Frankfurter „Volksstimme” vom 18. August 1914.)

Das theoretische Organ der Partei „Die Neue Zeit” (Nr. 32 vom 25. September 1914), erklärte: „Solange die Frage bloß lautet, ob Sieg oder Niederlage, drängt sie alle anderen Fragen zurück, sogar die nach dem Zweck des Krieges. Also erst recht alle Unterschiede der Parteien, Klassen, Nationen innerhalb des Heeres und der Bevölkerung.”[1] [Hervorhebungen – R. L.] Und in ihrer Nr. 8 vom 27. November 1914 erklärte dieselbe „Neue Zeit” in einem Kapitel „Die Grenzen der Internationale”: „Der Weltkrieg spaltet die Sozialisten in verschiedene Lager und vorwiegend in verschiedene nationale Lager. Die Internationale ist unfähig, das zu verhindern. [Hervorhebung – R. L.]

Das heißt, sie ist kein wirksames Werkzeug im Kriege, sie ist im wesentlichen ein Friedensinstrument.”[2] Ihre „große historische Aufgabe” sei „Kampf für den Frieden, Klassenkampf im Frieden”.

Der Klassenkampf ist also von der Sozialdemokratie mit dem 4. August 1914 und bis zum künftigen Friedensschluß für nicht existierend erklärt. Deutschland verwandelte sich mit dem ersten Donner der Krupp-Kanonen in Belgien in ein Wunderland der Klassensolidarität und der gesellschaftlichen Harmonien.

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[1] K. Kautsky: Wirkungen des Krieges. In: Die Neue Zeit, 32. Jg. 1913/14, Zweiter Band, S. 975.

[2] K. Kautsky: Die Internationalität und der Krieg. In: Die Neue Zeit (Stuttgart), 33. Jg. 1914/15, Erster Band, S. 248.