Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 11

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Volke als die „polnische Königin” verehrt, darüber rechts das Bild des Papstes, links das Kaiser Wilhelms. Unsere Freunde wie unsere Feinde von heute sind durchaus nicht die von gestern, das Gute und das Böse, wie sie offizielle Geltung in der Gesellschaft hatten, haben die Plätze vielfach gewechselt.

So wird die Welt nach dem Kriege gründlich verändert aussehen. Freilich werden emsige Hände die Trümmer wieder aufzurichten suchen. Aber materieller Ruin läßt sich eher wieder gutmachen als moralischer. Zerschmetterte Kanonen kann man durch bessere ersetzen, zerfetzte Begriffe und vernichteten Glauben kann man nicht wieder zusammenleimen. So müssen die sozialistischen Arbeiter und Arbeiterinnen in allen Ländern schauen, daß sie mitten unter den Trümmern der bürgerlichen Gesellschaft ihre heiligen Ideale nicht auch in Trümmer untergehen lassen. In ihren Herzen müssen sie die alten Lehren, den alten Glauben treu und sorgsam hüten als das einzige, was hinübergerettet werden muß. Arg genug hat schon die sozialistische Ideenwelt in dem Kriegssturm gelitten. Jetzt gilt dem aufgeklärten Proletarier, ihm, der die Basis der Gesellschaft trotz alledem ist, das Wort des Dichters:

Wir tragen

Trümmern ins Nichts hinüber

Und klagen

Über die verlorne Schöne.

Mächtiger

Der Erdensöhne,

Prächtiger

Baue sie wieder,

In deinem Busen baue sie auf [1]

Sozialdemokratische Korrespondenz. (Berlin),
Nr. 112 vom 30. Oktober 1914.

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[1] Johann Wolfgang Goethe: Faust. Eine Tragödie. In: Goethe: Poetische Werke. Dramatische Dichtungen IV, Berlin 1965, S. 199.