Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 484

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Aufgabe herantreten, die wirtschaftlichen Aufgaben zu behandeln, wir sofort stolpern über den großen Wall, der in den Gewerkschaften vor uns aufgerichtet ist. Die Frage des Kampfes für die Befreiung ist identisch mit der Frage der Bekämpfung der Gewerkschaften. Wir haben dazu in Deutschland zehnmal mehr Grund als in anderen Ländern. Denn Deutschland ist das einzige Land, in dem während der vier Jahre des Weltkrieges keine Lohnbewegungen stattgefunden haben, und zwar durch Parole der Gewerkschaften. Wenn die Gewerkschaften nichts anderes getan hätten, so wären sie zehnmal wert, daß sie zugrunde gehen. Die offiziellen Gewerkschaften haben sich im Verlaufe des Krieges und in der Revolution bis zum heutigen Tage als eine Organisation des bürgerlichen Staates und der kapitalistischen Klassenherrschaft gezeigt. Deshalb ist es selbstverständlich, daß der Kampf um die Sozialisierung in Deutschland sich in erster Linie befassen muß mit der Liquidierung dieser Hindernisse, die die Gewerkschaften der Sozialisierung entgegenstellen. In welcher Weise ist diese Liquidierung durchzusetzen? Welches positive Gebilde ist an die Stelle der Gewerkschaften zu setzen?

Ich muß mich entschieden gegen die Anregung der Genossen aussprechen, die hier in einem Bremer Antrag[1] die sogenannte Einheitsorganisation vorschlagen. Sie haben eins nicht bemerkt. Wir sind daran, die Arbeiter- und Soldatenräte zu Trägern sämtlicher politischen und wirtschaftlichen Bedürfnisse und Machtmittel der Arbeiterklasse auszugestalten. Dieser Gesichtspunkt in erster Linie hat maßgebend zu sein für die Organe für den wirtschaftlichen Kampf.

In den Leitsätzen[2] ist ein leitender Gedanke ausgeführt: Die Arbeiterräte sind berufen, die wirtschaftlichen Kämpfe zu leiten und zu beaufsichtigen, und zwar von ihren Betrieben aus. Betriebsräte, gewählt durch Betriebsobleute, im Zusammenhang mit Arbeiterräten, die gleichfalls aus den Betrieben herauskommen, in die Spitze der Reichswirtschaftsräte zusammenlaufend. Sie werden sehen, daß die Leitsätze auf nichts anderes herauskommen als auf eine vollständige Aushöhlung aller Funktionen der Gewerkschaften. (Beifall.) Wir expropriieren die Gewerkschaften aus den Funktionen, die sie von den Arbeitern anvertraut bekamen und veruntreut

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[1] Gemeint ist ein Antrag von Felix Schmidt (Hannover) und Genossen, durch den die Mitglieder der KPD verpflichtet werden sollten, aus den Gewerkschaften auszutreten und die KPD als wirtschaftlich-politische Einheitsorganisation aufzubauen. Dieser Antrag wurde zurückgezogen.

[2] Gemeint sind „Wirtschaftliche Übergangsforderungen für die Industrie- und Handelsarbeiter”, die zum Teil in der „Freiheit” (Berlin), Nr. 83 vom 31. Dezember 1918 und in der „Deutschen Allgemeinen Zeitung” (Berlin), Nr. 664 vom 31. Dezember 1918 abgedruckt worden waren und auf dem Parteitag verteilt wurden.