Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 481

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mit sich bringen wird. Aber ich bin verpflichtet, die Wege zu gehen, die sich aus meiner Auffassung über die Zustände in Deutschland ergeben. Die Aufgaben sind gewaltig, sie münden in die sozialistische Weltrevolution. Aber was wir bisher in Deutschland sehen, das ist noch die Unreife der Massen. Unsere nächste Aufgabe ist, die Massen zu schulen, diese Aufgaben zu erfüllen. Das wollen wir durch den Parlamentarismus erreichen. Das Wort soll entscheiden. Ich sage Ihnen, gerade dank der Unreife der Massen, die bis jetzt nicht verstanden haben, das Rätesystem zum Siege zu bringen, ist es der Gegenrevolution gelungen, die Nationalversammlung als ein Bollwerk gegen uns aufzurichten. Nun führt unser Weg durch dieses Bollwerk hindurch. Ich habe die Pflicht, alle Vernunft dagegen zu richten, gegen dieses Bollwerk anzukämpfen, hineinzuziehen in die Nationalversammlung, dort mit der Faust auf den Tisch zu schlagen, des Volkes Wille ist das höchste Gesetz. Hier haben wir zu entscheiden. Wenn die Masse so reif ist, so wird sich ja das kleine Häuflein, die Minderheit, zur herrschenden Macht gestalten, so werden sie uns die Macht geben, von innen heraus diejenigen aus dem Tempel zu weisen, die nichts darin zu suchen haben, unsere Gegner, die Bourgeoisie, die Kleinbürger usw. Dazu kommen sie nicht.

Sie müssen konsequent sein. Auf der einen Seite spekulieren Sie auf eine solche Reife der Verhältnisse, auf eine solche revolutionäre Macht und Bewußtsein der Massen, daß Sie in 14 Tagen versprechen, an Stelle der Nationalversammlung eine sozialistische Regierung zu setzen, auf der anderen Seite sagen Sie, kommt die Nationalversammlung zustande, so wird der Druck der Straße sie hinwegfegen. Bilden Sie sich doch nicht ein, daß, wenn wir ihnen vorschlagen, ihren Stimmzettel nicht in die Urne zu werfen, daß dann die Wahlen anders aussehen werden. Die Wahlen stellen ein neues Instrument des revolutionären Kampfes dar. Sie sind befangen in der alten Schablone. Für Sie existiert nur das Parlament des deutschen Reichstags. Sie können sich nicht vorstellen, dieses Mittel zu gebrauchen im revolutionären Sinne. Sie verstehen: entweder Maschinengewehre oder Parlamentarismus. Wir wollen etwas verfeinerten Radikalismus. Nicht bloß dieses grobkörnige Entweder-Oder. Es ist bequemer, einfacher, aber das ist eine Vereinfachung, die nicht der Schulung und Erziehung der Massen dient.

Aus rein praktischen Gesichtspunkten heraus könnt Ihr wirklich mit ruhigem Gewissen sagen, wenn Ihr den Boykott beschließt, Ihr seid der beste Kern der deutschen Arbeiterschaft, und als Vertreter der revolutionärsten Schicht habt Ihr die Möglichkeit, mit ruhigem Gewissen zu ver-

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