Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 416

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-4/seite/416

men uns begeistert zu, immer weitere Kreise des Proletariats teilen die Erkenntnis, daß die Stunde der Abrechnung mit der kapitalistischen Klassenherrschaft geschlagen hat.

Dies große Werk aber kann das deutsche Proletariat allein nicht vollbringen, es kann nur kämpfen und siegen, indem es die Solidarität der Proletarier der ganzen Welt anruft.

Genossen der kriegführenden Länder, wir kennen Eure Lage. Wohl wissen wir, daß Eure Regierungen nun, da sie den Sieg errungen haben, manche Volksschichten durch den äußern Glanz des Sieges blenden. Wir wissen, daß es ihnen so gelingt, durch den Erfolg des Mordens dessen Ursachen und Ziele vergessen zu machen.

Aber wir wissen auch ein anderes. Wir wissen, daß auch in Euren Ländern das Proletariat die furchtbarsten Opfer an Fleisch und Gut gebracht hat, daß es des grauenhaften Gemetzels müde ist, daß der Proletarier jetzt nach Hause zurückkehrt und zu Hause Not und Elend findet, während in der Hand weniger Kapitalisten Milliardenvermögen auf gehäuft sind. Er hat erkannt und wird weiter erkennen, daß der Krieg auch von Euren Regierungen geführt worden ist um der großen Geldsäcke willen. Und er wird weiter erkennen, daß Eure Regierung, als sie von „Recht und Zivilisation” und vom „Schutz der kleinen Nationen” sprach, ebenso die Kapitalprofite meinte wie die unsere, als sie von „Verteidigung der Heimat” redete; daß der Frieden des „Rechts” und des „Völkerbundes” auf die gleiche niederträchtige Räuberei hinausläuft wie der Frieden von Brest-Litowsk[1]. Hier wie dort dieselbe schamlose Raubgier, derselbe Wille zur Unterdrückung, derselbe Entschluß, die brutale Übermacht des Mordeisens bis zum äußersten auszunutzen.

Der Imperialismus aller Länder kennt keine „Verständigung”, er kennt nur ein Recht: den Kapitalprofit, nur eine Sprache: das Schwert, nur ein Mittel: die Gewalt. Und wenn er jetzt in allen Ländern, bei Euch wie bei uns, von „Völkerbund”, „Abrüstung”, „Recht der kleinen Nationen”, „Selbstbestimmung der Völker” redet, so sind das nur die üblichen verlogenen Redensarten der Herrschenden, um die Wachsamkeit des Proletariats einzuschläfern.

Proletarier aller Länder! Dieser Krieg muß der letzte sein! Das sind wir den 12 Millionen hingemordeter Opfer, das sind wir unseren Kindern, das sind wir der Menschheit schuldig.

Europa ist durch den verruchten Völkermord ruiniert. Zwölf Millionen Leichen bedecken die grausigen Stätten des imperialistischen Verbrechens.

Nächste Seite »



[1] Entsprechend dem vom II. Gesamtrussischen Sowjetkongreß am 8. November 1917 beschlossenen Dekret über den Frieden, in dem allen kriegführenden Staaten Verhandlungen über einen gerechten und demokratischen Frieden und als Voraussetzung dafür der sofortige Abschluß eines Waffenstillstandes vorgeschlagen worden waren, begannen am 3. Dezember 1917 in Brest-Litowsk Verhandlungen mit dem deutschen Oberkommando, nachdem die Regierungen der Westmächte Verhandlungen entschieden abgelehnt hatten. Die deutsche Regierung verfolgte das Ziel, einen Separatfrieden zu schließen, den Raub von Gebieten im Osten zu sichern und die Hand frei zu bekommen für verstärkte Kriegsanstrengungen an der Westfront. Die aufbegehrenden Volksmassen in Deutschland sollten durch die scheinbare Friedensbereitschaft der Regierung getäuscht werden.

Am 15. Dezember wurde der Waffenstillstandsvertrag unterzeichnet und die Aufnahme von Friedensverhandlungen für den 22. Dezember vereinbart. Durch den dann am 3. März 1918 unterzeichneten Raubfrieden von Brest-Litowsk verlor Sowjetrußland ein Territorium von ca. einer Million km2. Die Sowjetregierung war im Interesse der Revolution gezwungen, einem solchen Frieden zuzustimmen, um den Völkern Rußlands eine friedliche Atempause zur Festigung der Sowjetmacht and zum Aufbau einer Armee zu schaffen, die in der Lage sein würde, das Land gegen die innere Konterrevolution und die imperialistischen Interventen zu schützen.