Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 390

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ternationalen Sozialismus, der ihm noch versetzt werden könnte. Rußland war der einzige, letzte Winkel, wo revolutionärer Sozialismus, Reinheit der Grundsätze; ideale Güter noch einen Kurs hatten, wohin sich die Blicke aller ehrlichen sozialistischen Elemente in Deutschland wie in ganz Europa richteten, um sich von dem Ekel zu erholen, den die Praxis der westeuropäischen Arbeiterbewegung hervorruft, um sich mit Mut zum Ausharren, mit Glauben an ideelle Werke, an heilige Worte zu wappnen. Mit der grotesken „Paarung” zwischen Lenin und Hindenburg wäre die moralische Lichtquelle im Osten verlöscht. Es liegt auf der Hand, daß die deutschen Machthaber der Sowjetregierung die Pistole auf die Brust setzen und ihre verzweifelte Lage ausnutzen, um ihr diese ungeheuerliche Allianz aufzuzwingen. Aber wir hoffen, daß Lenin und seine Freunde um keinen Preis nachgeben werden, daß sie dieser Zumutung gegenüber ein kategorisches: Bis hierher und nicht weiter! zurufen werden.

Sozialistische Revolution auf deutschen Bajonetten sitzend, proletarische Diktatur unter der Schirmvogtei des deutschen Imperialismus – das wäre das ungeheuerlichste, was wir noch erleben könnten. Und obendrein wäre es – reine Utopie. Ganz zu schweigen davon, daß das moralische Prestige der Bolschewiki im Lande selbst vernichtet wäre, sie würden jede Bewegungsfreiheit und jede Unabhängigkeit auch in der inneren Politik verlieren, um in kürzester Zeit – von der Bühne überhaupt zu verschwinden. Sieht doch jedes Kind seit langem, daß Deutschland nur schwankt und auf die Gelegenheit lauert, um mit Miljukows, irgendwelchen Hetmans und Gott weiß welchen dunklen Ehrenmännern und Strohpuppen der bolschewistischen Herrlichkeit ein Ende zu machen, Lenin und Genossen, nachdem sie wie die Ukrainer, die Lubinskys und Konsorten, die Rolle des Trojanischen Pferdes ausgespielt haben werden, sie selbst abzuwürgen.

Dann erst wären alle bisherigen Opfer, das große Opfer des Brester Friedens rein umsonst gebracht; denn ihr Kaufpreis wäre zum Schluß der – moralische Bankerott. Jeder politische Untergang der Bolschewiki im ehrlichen Kampfe gegen die Übermacht und Ungunst der geschichtlichen Situation wäre diesem moralischen Untergang vorzuziehen.

Die Bolschewiki haben sicher verschiedene Fehler in ihrer Politik begangen und begehen sie vielleicht noch jetzt – man nenne uns eine Revolution, in der keine Fehler begangen worden sind! Die Vorstellung von einer Revolutionspolitik ohne Fehler, obendrein in dieser völlig beispiellosen Situation, ist so abgeschmackt, daß sie nur eines deutschen Schulmeisters würdig wäre. Wenn die sogenannten Führer des deutschen So-

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