Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 153

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den schwächlichen Versuchen, die alte Internationale künstlich zu galvanisieren, nicht in den Gelöbnissen, die bald hier, bald dort erneuert werden, nach dem Kriege sofort wieder zusammenzustehen. Nein, jetzt, im Kriege, aus dem Kriege ersteht mit ganz neuer Macht und Wucht die Tatsache, daß die Proletarier aller Länder ein und dieselben Interessen haben. Der Weltkrieg widerlegt selbst die von ihm geschaffene Täuschung.

Sieg oder Niederlage! So heißt die Losung des herrschenden Militarismus in jedem der kriegführenden Länder, und so haben sie, wie ein Echo, die sozialdemokratischen Führer übernommen. Um Sieg oder Niederlage auf dem Schlachtfelde soll es sich jetzt nur noch auch für die Proletarier Deutschlands wie Frankreichs, Englands wie Rußlands handeln, genauso wie für die herrschenden Klassen dieser Länder. Sobald die Kanonen donnern, soll jedes Proletariat am Siege des eigenen, also an der Niederlage der anderen Länder interessiert sein. Sehen wir zu, was ein Sieg dem Proletariat einbringen kann.

Nach der von den Führern der Sozialdemokratie kritiklos übernommenen offiziellen Version bedeutet der Sieg für Deutschland die Aussicht auf ungehinderten schrankenlosen wirtschaftlichen Aufschwung, die Niederlage aber einen wirtschaftlichen Ruin. Diese Auffassung stützt sich ungefähr auf das Schema des Krieges von 1870. Aber die kapitalistische Blüte, die in Deutschland dem Kriege von 1870 folgte, war nicht Folge des Krieges, sondern der politischen Einigung, wenn auch nur in der verkrüppelten Gestalt des von Bismarck geschaffenen Deutschen Reiches. Der wirtschaftliche Aufschwung ergab sich hier aus der Einigung trotz des Krieges und der mannigfachen reaktionären Hemmnisse in seinem Gefolge. Was der siegreiche Krieg dazu aus eigenem tat, war die Befestigung der Militärmonarchie in Deutschland und des preußischen Junkerregiments, während die Niederlage Frankreich zur Liquidierung des Kaiserreichs und zur Republik verholfen hat. Heute liegen aber die Dinge noch ganz anders in allen beteiligten Staaten. Heute funktioniert der Krieg nicht als eine dynamische Methode, dem aufkommenden jungen Kapitalismus zu den unentbehrlichsten politischen Voraussetzungen seiner „nationalen” Entfaltung zu verhelfen. Diesen Charakter trägt der Krieg höchstens, und auch nur als isoliertes Fragment betrachtet, in Serbien. Auf seinen objektiven historischen Sinn reduziert, ist der heutige Weltkrieg als Ganzes ein Konkurrenzkampf des bereits zur vollen Blüte entfalteten Kapitalismus um die Weltherrschaft, um die Ausbeutung der letzten Reste der nichtkapitalistischen Weltzonen. Daraus ergibt sich ein gänzlich veränderter Charakter des Krieges selbst und seiner Wirkungen. Der hohe Grad der weltwirt-

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