Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 60

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Ungerechtigkeit gegenüber dem arbeitenden Volk. Wenn es jemand verdient, vom gleichen Recht ausgeschlossen zu werden, so ist es eher die Klasse der reichen Parasiten – der Adel und die Kapitalisten –, die, von fremder Arbeit lebend, dem Volke im Nacken sitzt. Da aber die Sozialdemokratie grundsätzlich für die völlige Gleichheit unter den Menschen ist, so fordert sie für die Arbeiterklasse nicht mehr Rechte als für andere, sie fordert nur, daß alle ohne Ausnahme bei Wahlen das gleiche Recht haben, daß eine Stimme, die vom Ärmsten abgegeben wird, dieselbe Bedeutung hat wie die des Reichsten.

Die Stimmabgabe bei den Wahlen muß direkt sein. Das heißt, daß jeder Mensch seine Stimme direkt für denjenigen abgibt, den er als seinen Abgeordneten im Parlament haben möchte. Die herrschenden Klassen führten in einigen Staaten, zum Beispiel in Preußen, zum Schaden der Arbeiterklasse indirekte Wahlen ein, das heißt solche, bei denen die Bevölkerung die Abgeordneten zum Parlament nicht unmittelbar wählt, sondern zunächst Wahlmänner, die erst bei einer zweiten Wahl nach ihrem Gutdünken die Abgeordneten wählen. Das ist eine der Methoden, das Volk zu betrügen und seinen Willen zu verfälschen. Denn bei indirekten Wahlen kann gewöhnlich als Wahlmann nur derjenige gewählt werden, der in bestimmter Höhe Steuern zahlt, wofür schon ein gewisses Vermögen erforderlich ist, so daß als Wahlmänner größtenteils nur Mitglieder der Bourgeoisie oder des Kleinbürgertums gewählt werden können. Es kommt noch hinzu, daß bei diesem Wahlsystem die Wahlmänner ihre Stimmen für die Abgeordneten gewöhnlich offen abgeben müssen, das heißt sich der Verfolgung durch die Kapitalisten und die Regierung aussetzen, falls sie für einen Sozialdemokraten oder überhaupt für Abgeordnete oppositioneller Parteien stimmen. Angesichts dessen sind die indirekten Wahlen eine beliebte Methode, um dem Proletariat die Wahl seiner wirklichen Vertreter in das Parlament unmöglich zu machen. Deshalb fordert die Sozialdemokratie auch, daß das Stimmrecht außer gleich und allgemein direkt sein soll.

Die Sozialdemokratie fordert, daß die Wahlen geheim sind, das heißt, jeder Mensch soll seine Stimme abgeben, ohne dabei von jemand kontrol‑

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