Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 344

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Ermattung oder Kampf?

I

Ich komme infolge meiner mündlichen Agitation mit erheblicher Verspätung dazu, dem Genossen Kautsky zu antworten.[1] Wenn aber mein Artikel über den Massenstreik[2] und meine Agitation im April[3] auch nichts anderes erreicht hätten, als daß eine eingehende Diskussion über Probleme der Taktik in der Partei Platz gegriffen hat, daß das Verbot der Diskussion über den Massenstreik namentlich auch in unserem theoretischen Organ, der „Neuen Zeit“, durchbrochen ist, so könnte ich vollauf zufrieden sein. Es handelte sich nämlich in erster Linie darum, dem unbegreiflichen Versuch entgegenzutreten, eine öffentliche Diskussion in der Parteipresse über Fragen zu unterbinden, die das Interesse der weiten Parteikreise aufs tiefste erregen. War doch mein Artikel über den Massenstreik nicht nur von unserem Zentralorgan „Vorwärts“, sondern auch von der „Neuen Zeit“, wo er zuerst akzeptiert und sogar schon gesetzt war, zuletzt aus dem Grunde abgelehnt worden, weil eine Diskussion über den Massenstreik in der Parteipresse nicht erwünscht wäre.

Das Verkehrte dieses Versuchs tritt erst dann im rechten Lichte hervor, wenn man in Betracht zieht, daß es sich durchaus nicht um eine vom Zaune gebrochene Diskussion, nicht um den Einfall einer einzelnen Person handelt, wie es der Genosse Kautsky hinstellt, indem er in seinem ganzen Artikel ausschließlich von mir und meiner Agitation spricht und seinen

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[1] In seinem Artikel „Was nun?“ (Die Neue Zeit [Stuttgart], 28. Jg. 1909/10, Zweiter Band, S. 33–40 u. 68–80) hatte Karl Kautsky die Forderung Rosa Luxemburgs nach dem politischen Massenstreik und der demokratischen Republik zurückgewiesen.

[2] Siehe Rosa Luxemburg: Was weiter? In: GW, Bd. 2, S. 289–299.

[3] In der Zeit zwischen dem 3. und 18. April 1910 hatte Rosa Luxemburg auf einer Reihe von Versammlungen, zunächst in Oberschlesien und anschließend in Bremen, Kiel, Dortmund, Essen, Düsseldorf, Solingen, Barmen, Frankfurt (Main) und Hanau, zu Fragen des politischen Massenstreiks gesprochen.