Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 549

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Gewerkschaftsschule und Parteischule

Leipzig, 21. Juni

In der letzten Zeit sind sowohl aus Parteikreisen wie aus Gewerkschaftskreisen mehrfach Stimmen laut geworden, die eine Verschmelzung oder wenigstens eine solche Kombination der beiden Bildungsinstitute der Arbeiterbewegung verlangen, die den in der Partei wie in den Gewerkschaften tätigen Genossen ihre gleichmäßige Benutzung gestatten würden. Der Grundgedanke, von dem dieses Verlangen diktiert war, ist vollkommen richtig. Er entspringt der Einsicht, daß Gewerkschaften und Sozialdemokratie als politische Partei doch nur zwei verschiedene Formen, zwei Zweige der modernen Arbeiterbewegung darstellen, die erst zusammen, in ihrer gegenseitigen Ergänzung den Bedürfnissen und den Aufgaben des proletarischen Klassenkampfes gerecht werden, die aber auch nur auf einer und derselben theoretischen Grundlage gedeihen und erstarken können. Es gibt keine besondere wissenschaftliche Theorie der Gewerkschaftsbewegung und eine solche der sozialdemokratischen Bewegung. Es ist eine und dieselbe Lehre vom Klassenkampf, eine und dieselbe nationalökonomische Einsicht in die Gesetze der kapitalistischen Wirtschaft, eine und dieselbe Theorie der materialistischen Geschichtsauffassung, die das geistige Rüstzeug unsrer Gewerkschaften in ihrem Kampfe wie unsrer Partei bilden. Die deutschen freien Gewerkschaften wie die deutsche Sozialdemokratie sind beide in ihrer heutigen Gestalt Produkte der Marxschen Lehre des wissenschaftlichen Sozialismus, und es ist nur die verschiedene Nutzanwendung dieser Lehre, was die Praxis des Gewerkschaftskampfes von dem politischen Kampf der Sozialdemokratie unterscheidet. Daß dieselbe theoretische Ausbildung sowohl für jeden tüchtigen und den heutigen Anforderungen des Kampfes gewachsenen gewerkschaftlichen Agitator wie für jeden schlagfertigen Parteiagitator erforderlich

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