Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 525

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Die neue Armee

Leipzig, 9. Juni

Unter diesem Titel hat Genosse Jaurès ein neues umfangreiches Buch erscheinen lassen, das just in die Fragen von Krieg und Frieden hineingreift, die auch in Deutschland jüngst ein lebhaftes Interesse der Parteikreise beanspruchten.[1] Das Werk ist von Anfang bis Ende der Idee des Friedens gewidmet, die Jaurès mit der ihm eigenen leidenschaftlichen Redegewalt verficht. Es ist dies keine Untersuchung etwa der objektiven Bedingungen des modernen Militarismus und seiner Zusammenhänge mit der kapitalistischen Entwicklung, sondern nur eine scharfe Auseinandersetzung mit den herrschenden Ideen und Vorurteilen des offiziellen französischen Patriotismus und seinen Kriegsgelüsten. Das Leitmotiv des Buches ist der Gedanke der Volkswehr, die Jaurès an Stelle des gegenwärtigen Systems des stehenden Heeres setzen will, und sein Werk ist nur ein großes Plädoyer für das Volksheer als die beste und sicherste Schutzwehr der Nation wider den äußeren Feind. Er gibt auch am Schlusse seines Buches ein ganzes im Detail ausgearbeitetes Projekt der Neuorganisation des französischen Heeres, bestehend aus 18 Artikeln. Allerdings unterscheidet sich der Jaurèssche Plan von dem Milizheer, wie es z. B. dem Programm der deutschen Sozialdemokratie entspricht, in wesentlichen Punkten. Zunächst frappiert bei Jaurès die Tendenz, den Militarismus so über das Maß des heutigen hinaus in das gesamte gesellschaftliche Leben einzuführen, daß er wie ein roter Faden alle Institutionen, ja das Parteileben des sozialistischen Proletariats durchdringt. An allen wichtigeren Universitäten sollen spezielle Katheder für die Militärwissenschaft eingerichtet werden. Das sozialistische Proletariat soll mit dem größten Eifer militärisch-gymnastische Vereine und Schützenvereine bilden, militärische Übungen auf

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[1] Jean Jaurès: L’Armée nouvelle, Paris, Jules Rouff u. Co. – Im Original mit *.