Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 498

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die Rosen der kapitalistischen Profitmacherei wie der Klassenherrschaft eben auch für die Bourgeoisie nicht ohne Dornen sind, die sie jedoch trotz Weh und Ach immer noch lieber um ihr Dulderhaupt, solange es geht, zu tragen vorzieht, als sie mitsamt dem Haupt auf den gutgemeinten Rat der Sozialdemokratie loszuwerden.

Dies den Massen auseinanderzusetzen, alle Illusionen in bezug auf die Friedensmache von bürgerlicher Seite rücksichtslos zu zerzausen und die proletarische Revolution als den einzigen und ersten Akt des Weltfriedens zu erklären, das ist die Aufgabe der Sozialdemokratie angesichts aller Abrüstungspossen, ob sie in Petersburg, London oder Berlin arrangiert werden.

Sich selbst und andern klaren Wein einschenken ist allezeit die beste praktische Politik für die Partei des revolutionären Proletariats gewesen. Und dies ist doppelt unsre Aufgabe in der beginnenden Agitation zu den Reichstagswahlen, wenn wir nicht bloß in die Breite, sondern auch in die Tiefe an Macht und Einfluß zunehmen wollen.

II

Leipzig, den 8. Mai

Das Utopische des Standpunkts, der eine Friedensära und die Rückbildung des Militarismus in der heutigen Gesellschaft erwartet, kommt deutlich darin zum Ausdruck, daß er zur Projektenmacherei Zuflucht nimmt. Es ist ja typisch für utopische Bestrebungen, daß sie, um ihre Realisierbarkeit zu beweisen, möglichst detaillierte „praktische“ Rezepte aushecken. Dahin gehört auch das Projekt der „Vereinigten Staaten Europas“ als Basis zur Einschränkung des internationalen Militarismus.

„Wir unterstützen“, sagte Genosse Ledebour in seiner Etatsrede im Reichstag am 3. April, „alle die Bestrebungen, die darauf hinauslaufen, die fadenscheinigen Vorwände für die unaufhörliche Kriegsrüstung zu beseitigen. Wir fordern den wirtschaftlichen und politischen Zusammenschluß der europäischen Staaten. Ich bin fest überzeugt: wenn auch sicher in der Zeit des Sozialismus, so kann es doch auch schon früher dazu kommen, daß wir die Vereinigten Staaten von Europa erleben, wie wir heutigentags den Vereinigten Staaten von Amerika im Wettbewerb gegenüberstehen. Wir stellen wenigstens an die kapitalistische Gesellschaft, an die kapitalistischen Staatsmänner die Forderung, daß sie im Interesse der kapitalistischen Entwicklung in Europa selbst, um Europa später in der Weltkonkurrenz nicht vollkommen unter den Schlitten kommen zu

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