Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 352

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als Überraschungen, die noch vor den nächsten Reichstagswahlen zu gewaltigen Entladungen und Katastrophen führen, in denen das Proletariat zum Aufgebot aller seiner Kräfte und Machtmittel hingerissen wird. Ein Massenstreik unter solchen Umständen könnte sehr wohl imstande sein, das bestehende Regime hinwegzufegen.“[1]

Ist dem aber so, ist auch nur eine Möglichkeit vorhanden, daß der Massenstreik in nächster Zukunft in Deutschland in Anwendung kommt, dann ergibt es sich von selbst, daß es unsere Pflicht ist, auch den Massen alle diese Eventualitäten vor die Augen zu stellen, jetzt schon in möglichst breiten Kreisen des Proletariats Sympathie für diese Aktion zu wecken, damit die Arbeiterschaft nicht überrumpelt wird, damit sie nicht blindlings, nicht unter einem Affekt, sondern mit vollem Bewußtsein, in sicherem Gefühl der eigenen Kraft und in möglichst gewaltigen Massen in die Aktion eintritt. Die Masse selbst soll eben für alle politischen Eventualitäten reif sein und selbst ihre Aktionen bestimmen, nicht aber „im gegebenen Moment“ auf den Taktstock von oben warten, „vertrauend ihrem Magistrat, der fromm und liebend schützt den Staat durch huldreich hochwohlweises Walten“, während es der Parteimasse stets geziemt, „das Maul zu halten“.[2] Die Marxsche Auffassung besteht ja gerade in der Beachtung der Masse und ihres Bewußtseins als des bestimmenden Faktors bei allen politischen Aktionen der Sozialdemokratie. Im Geiste dieser Auffassung ist auch der politische Massenstreik – wie der ganze Kampf um das Wahlrecht – schließlich doch nur ein Mittel zur Klassenaufklärung und Organisation der breitesten Schichten des Proletariats. Wie man also an die Ausführung solcher Aktionen möglicherweise in der nächsten Zukunft denken und zugleich der Masse verbieten kann, sich mit diesem Problem zu befassen, als wenn es sich um das Spielen mit dem Feuer handelte, vor dem die Masse bewahrt werden müßte, ist gerade vom Standpunkt der Marxschen Lehre ganz rätselhaft, und alle moderne und antike Kriegsstrategie vermag dieses Rätsel nicht zu klären.

II

Im engsten Zusammenhang mit dieser Auffassung vom Massenstreik als einer nach dem Taktstock des Generalstabs kommandierten Aktion steht auch die peinliche Unterscheidung, die Genosse Kautsky in bezug auf die

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[1] Ebenda, S. 80.

[2] Heinrich Heine: Erinnerung aus Krähwinkels Schreckenstagen. In: Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden, Bd. 2, Berlin 1961. S. 241.