Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 452

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II Rede zur Budgetabstimmung

[1]

Wenn irgend etwas die völlige Überflüssigkeit und Hinfälligkeit des Antrags Braun und Genossen[2] und die dringende Notwendigkeit, in der Frage der Budgetbewilligung hier endlich einmal eine klipp und klare Entscheidung zu fällen, bewiesen hat, so waren es die Verteidigungsreden von Frank, Kolb und Genossen. Sie werden mir alle zugeben, daß man auch bei der größten Aufmerksamkeit aus diesen Reden nicht ein einziges Argument heraushören konnte, das in irgendwie überzeugender Weise die Notwendigkeit der Budgetbewilligung belegt hätte. (Zustimmung und Widerspruch.) Auch nicht ein einziges neues Moment wurde in die Debatte gebracht, die wir nun leider schon seit sechzehn Jahren in der Partei über diesen strittigen Punkt haben. Wie sah denn die große Verteidigungsrede des Korreferenten Frank aus, worauf lief sie hinaus? Es war eine lange und ausführliche Darlegung der gesamten Tätigkeit der badischen Landtagsfraktion, es wurde uns eine lange Reihe von Gesetzesvorschlägen, Gesetzesabänderungen und dergleichen Großtaten aufgezählt, und dabei mußte Frank selbst zugeben, daß es unseren Genossen im badischen Landtag auf keinem einzigen Gebiet gelungen ist, unsere prinzipiellen Forderungen auch wirklich durchzusetzen. (Zustimmung und Widerspruch.) Wenn auch, was wir mit Freuden anerkennen, die Genossen im badischen Landtage ihre Forderungen aufgestellt haben, so haben sie schließlich doch immer nur Lappalien errungen, sie haben nach Goldschätzen gegraben und waren froh, wenn sie Regenwürmer fanden. („Oho!“ bei der Minderheit. Zustimmung bei der Mehrheit.) Auf dieses „Oho!“ will ich Ihnen sofort mit einem Beleg aufwarten. Ich will mich nicht einlassen auf eine Kritik aller der großen Errungenschaften, die uns hier im Glanze vorgeführt worden sind, aber Sie haben wohl alle konstatieren können, daß gewissermaßen das Paradestück der erfolgreichen praktischen Politik im badischen Landtag das berühmte Schulgesetz[3] war. Haben Sie nicht alle zusammen mit mir ein heftiges Herzklopfen gekriegt (Zuruf: „Nein!“ Heiterkeit.), als geschildert wurde, daß wir einen Schularzt errungen

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[1] Redaktionelle Oberschrift.

[2] Am 16. September 1910 hatte Otto Braun in der „Neuen Zeit“ eine Resolution für den Magdeburger Parteitag vorgeschlagen, wonach der Disziplinbruch der badischen Landtagsfraktion (Am 14. Juli 1910 hatte die Mehrheit der sozialdemokratischen Landtagsfraktion in Baden dem Budget zugestimmt. Auf dem Parteitag in Magdeburg vom 18. bis 24. September 1910 waren der Disziplinbruch und das prinzipienlose Verhalten der badischen Budgetbewilliger gegenüber dem Staat von der Mehrheit der Delegierten verurteilt und zum Teil ihr Ausschluß aus der Partei gefordert worden.) in einer gesonderten Kommission behandelt werden sollte. Diese Empfehlung, auf dem Parteitag von mehreren Sozialdemokraten als Antrag eingebracht, wurde mit großer Mehrheit abgelehnt.

[3] Am 4. Mai 1910 war in der zweiten Kammer des badischen Landtags das Gesetz über den Elementarunterricht mit allen gegen die Stimmen des Zentrums angenommen worden. Das neue Schulgesetz sah lediglich geringfügige Beschränkungen des Einflusses des Klerus auf die Schule vor; es erfüllte aber nicht die Forderung nach einer Trennung von Schule und Kirche und verweigerte den Lehrern die Stellung als Staatsbeamte. Siehe dazu Rosa Luxemburg: Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vom 18. bis 24. September 1910 in Magdeburg. Rede zur Budgetabstimmung. In: GW, Bd. 2, S. 452-454.