Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 453

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haben? Sie können sich denken, wie die traurigen Gesundheitszustände der badischen Schuljugend jetzt in radikaler Weise verbessert werden. (Heiterkeit.) Auch die anderen Errungenschaften auf dem Gebiete des Schulwesens sind ausführlich geschildert worden. Ich maße mir als eine Nichtbadenserin kein kompetentes Urteil über das Schulgesetz an, das mit Zustimmung unserer badischen Landtagsfraktion zustande gekommen ist, aber ich bin in der glücklichen Lage, Ihnen das maßgebende Urteil eines Badensers anzuführen, und zwar eines, der zu den Budgetbewilligern gehört. („Hört! Hört!“) In derselben Woche, wo ich in Lörrach meine Versammlung abgehalten habe[1], erschien in dem Lörracher Parteiblatt, das von einem Freunde von Kolb und Frank, dem Genossen Rösch, redigiert ist, folgende Beurteilung des badischen Schulgesetzes:

„Im ‚Staatsanzeiger‘ wird die neue Vollzugsverordnung zum revidierten Schulgesetz publiziert. Das Gesetz bringt eine Reihe verschiedener Neuerungen, aber immer noch nicht diejenigen, welche von der gesamten badischen Lehrerschaft schon lange gefordert werden und wie sie im Interesse einer gedeihlichen Entwickelung auch notwendig wären. Das Gesetz ist zwar ein Produkt des Großblocks, aber die alten liberalen Forderungen, wie Trennung von Schule und Kirche, sind nicht zur Geltung gekommen. Die im Gesetze geforderte Anstellung von Schulärzten hat durch die Vollzugsverordnung eine kleine Milderung erfahren; die Anstellung eines Schularztes wird nur verlangt, wenn der Bestand von 10 Lehrerstellen für drei aufeinanderfolgende Schuljahre gewährleistet erscheint. Die gleichen Bestimmungen treffen zu bei Errichtung und Aufhebung eines Rektorats. Für Kinder, die in einer Religionsgemeinschaft aufgenommen sind, besteht die Verpflichtung, den Religionsunterricht dieser Gemeinschaft bis zur Änderung ihrer religiösen Erziehung zu besuchen. Eine für Arbeiterfamilien sehr wichtige Bestimmung ist diejenige, daß Mädchen auf Antrag der Eltern zu Ostern des Jahres aus der Schule entlassen werden, in welchem sie das 14. Lebensjahr vollenden ... Das neue Gesetz bringt ferner eine Reihe wichtiger Änderungen über die Anstellungs- und Besoldungsverhältnisse der Lehrerinnen und ordnet ferner in wesentlich anderer Weise die Gemeinde- und Staatsbeiträge an die Schule. Soweit man bis jetzt beobachten konnte, hat das neue Schulgesetz bei der Bevölkerung keine gute Aufnahme gefunden, und namentlich ist es die Lehrerschaft, welche mit dem Gesetz unzufrieden ist, weil ihnen immer noch die Eigenschaft als Staatsbeamte versagt ist. Auf eine große

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[1] Rosa Luxemburg hatte Anfang September 1910 eine Agitationsreise durch Baden unternommen und in Schopfheim, Lörrach und anderen Orten gesprochen.