Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 427

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Die badische Budgetabstimmung

Die Vorgänge in Baden[1] werden in auffälliger Weise überall dort, wo sie eine gebührende Verurteilung finden, hauptsächlich als ein krasser Disziplinbruch behandelt. Es ist die wissentliche, frivole Zuwiderhandlung gegenüber dem ausdrücklichen Beschluß der obersten Instanz, dem ausdrücklichen Willen der Gesamtpartei, was die weitesten Kreise unserer Parteigenossen so tief empört und was in ihnen den starken Wunsch auslöst, daß der Magdeburger Parteitag[2] durch energisches Vorgehen ähnlichen Frivolitäten ein für allemal den Riegel vorschieben möge. Es ist der gesunde proletarische Instinkt, der sich hier gegen die Erhabenheit jener Herrenmenschennaturen mit parlamentarischem Mandat aufbäumt, die mit Zynismus den Willen der großen „Parteiherde“ mit Füßen treten, weil ihnen das gnädige Lächeln einer bürgerlichen Ministerexzellenz wichtiger erscheint als der Beifall Hunderttausender klassenbewußter Proletarier. Jeder einfache Arbeiter, der in dieser Weise bewußt die Disziplin und die Beschlüsse seiner Organisation brechen würde, wäre ungesäumt und unnachsichtig aus der Organisation ausgeschlossen, sei es eine gewerkschaftliche oder eine Parteiorganisation. Die Partei kann aber unmöglich zweierlei Recht haben – für einfache Proletarier und für Parlamentarier; die Parteidisziplin, die nur ein mechanisches Mittel ist, den klassenbewußten Willen der proletarischen Masse zur Richtschnur für einzelne zur Tat zu machen, muß entweder für alle gleichermaßen gelten, oder sie existiert überhaupt nicht. Ja gerade die offiziellen Vertreter der Partei nach außen, die parlamentarischen Vertreter, sind in erster Linie und noch viel mehr

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[1] Am 14. Juli 1910 hatte die Mehrheit der sozialdemokratischen Landtagsfraktion in Baden dem Budget zugestimmt. Auf dem Parteitag in Magdeburg vom 18. bis 24. September 1910 waren der Disziplinbruch und das prinzipienlose Verhalten der badischen Budgetbewilliger gegenüber dem Staat von der Mehrheit der Delegierten verurteilt und zum Teil ihr Ausschluß aus der Partei gefordert worden.

[2] Der Parteitag der deutschen Sozialdemokratie in Magdeburg fand vom 18. bis 24. September 1910 statt.