Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 372

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ger gestalten werden. Sonst kommen wir in die Gefahr, wiederum ein wenig an die Schilderung der französischen Demokratie im „Achtzehnten Brumaire“ zu erinnern, von der Marx sagt: „Aber die revolutionären Drohungen der Kleinbürger und ihrer demokratischen Vertreter sind bloße Einschüchterungsversuche des Gegners. Und wenn sie sich in eine Sackgasse verrannt, wenn sie sich hinlänglich kompromittiert haben, um zur Ausführung ihrer Drohungen gezwungen zu sein, so geschieht es in einer zweideutigen Weise, die nichts mehr vermeidet als die Mittel zum Zwecke und nach Vorwänden zum Unterliegen hascht. Die schmetternde Ouvertüre, die den Kampf verkündete, verliert sich in ein kleinlautes Knurren, sobald er beginnen soll …, und die Handlung fällt platt zusammen wie ein luftgefüllter Ballon, den man mit einer Nadel pickt.“[1]

V

Wie ist denn die Sachlage im ganzen? Zum erstenmal haben wir in Deutschland endlich eine lebhafte Massenbewegung bekommen, zum erstenmal sind wir über die bloßen Formen des parlamentarischen Kampfes hinausgegangen und haben es fertiggebracht, den Acheron in Bewegung zu setzen. Umgekehrt, wie es in Österreich fast ein Jahrzehnt lang der Fall war, sind wir nicht vor die harte Aufgabe gestellt, eine Massenaktion mitten in der allgemeinen Apathie mit aller Gewalt heraufzubeschwören, sondern wir haben nur die dankbare und natürliche Aufgabe, die kampffreudige, erregte Stimmung der Massen auszunutzen, um ihr die politischen Losungen zu geben, um sie in politische, sozialistische Aufklärung umzuprägen, um den Massen wegweisend voranzugehen, sie vorwärtszuführen. Aus dieser Situation heraus ergibt sich auch auf die natürlichste Weise, daß die Losung des Massenstreiks in den Vordergrund getreten ist, und es ist Pflicht der Partei, sie offen und klar zu erörtern, als ein Mittel, das sich früher oder später aus der anschwellenden Demonstrationsbewegung und dem hartnäckigen Widerstand der Reaktion ergeben muß. Nicht darauf kommt es an, plötzlich, von heute auf morgen einen Massenstreik in Preußen zu kommandieren oder für die nächste Woche zum Massenstreik „aufzufordern“, sondern im Zusammenhang mit der Kritik aller bürgerlichen Parteien und der Beleuchtung der ganzen Situation in Preußen-Deutschland geschichtlich, ökonomisch, politisch den

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[1] Karl Marx: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. In: Karl Marx, Friedrich Engels: Werke, Bd. 8, S. 144.