Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 339

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Zum 1. Mai. An die deutschen Arbeiter

Arbeitsbrüder! Genossen!

Es naht der 1. Mai, der Tag der Arbeiter, der Tag, an dem in der ganzen Welt die Ausgebeuteten und Unterdrückten ihre Fahne erheben, ihren Ruf erheben nach dem Achtstundentag, nach der sozialistischen Befreiung. Soll in diesem Jahre das Proletariat von Łódź allein ruhig bleiben, sollen die deutschen Arbeiter still bleiben und sich an dem Weltfeiertag der Arbeit nicht beteiligen? Wohlan, deutsche Arbeiter, überlegen wir: Wie ist unsere Lage?

Heute herrscht in Łódź, in Pabianice, in Zgierz wie im ganzen Lande das größte Elend unter den Arbeitern. Die Löhne werden immer mehr gedrückt, eine furchtbare Teuerung vergrößert noch die Not, dazu sind die Arbeiter gezwungen, sich von den Fabrikanten wie Hunde behandeln zu lassen. Jeden Augenblick droht eine Aussperrung. Die ungehorsamen Arbeiter, die sich der Tyrannei der Fabrikanten widersetzen wollen, werden erbarmungslos aufs Pflaster geworfen und können dann am Hungertuch nagen. Und dazu noch der schreckliche Druck der zarischen Regierung, der Polizei, die Verhaftungen, Haussuchungen, Kriegsgerichte. Es ist eine Hölle, dieses Leben, das wir jetzt führen; ein Elend, ein Dreck, eine Erniedrigung, ein Jammer, daß mancher zur Verzweiflung kommt. Ist denn das überhaupt ein menschenwürdiges Leben, das wir jetzt führen? Arbeiter, Genossen, ein Hundeleben ist es und kein Menschenleben!

Ja, war es denn aber immer so bei uns? Erinnern wir uns doch, wie es hier in Lódz, in anderen Städten aussah noch vor 5, vor 4 Jahren! Da waren andere Verhältnisse. Da hatten sich die Arbeiter fast überall eine kürzere Arbeitszeit erkämpft, sie haben sich bessere Löhne erkämpft. Damals waren die Arbeiter geachtet und gefürchtet von den Fabrikanten. Damals wurde der Arbeiter als ein Mensch behandelt. Damals diktierte

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