Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 340

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man uns nicht die Bedingungen wie heute, wie demütigen Sklaven, sondern die Arbeiter verhandelten damals mit den Fabrikanten und stellten ihre eigenen Bedingungen, stellten ihre Forderungen, die erfüllt werden mußten.

Das alles hat sich nun ganz geändert. Und weshalb, Genossen? Weil damals, vor 4, vor 5 Jahren Revolution war, weil dann die Arbeiter kämpften mit den Blutsaugern, Fabrikanten und mit den Schergen der Zarenregierung. Die Arbeiter standen während der Revolution fest zusammen, sie schlossen sich in Fachvereinen, in der Sozialdemokratischen Partei zusammen und bildeten dadurch eine Macht, vor der unsere Blutsauger Respekt hatten. Wie stark war doch damals unser Textilarbeiterverband, der über 10 000 Mitglieder zählte! Wie stark war damals die politische Organisation der Partei, auf deren Ruf jedesmal viele Zehntausende Arbeiter auf die Straße eilten! Erinnern wir uns doch, wie herrlich verlief die Maifeier im Jahre 1905 und 1906, wie großartig waren die Tage im Juni 1905, wo über 100 000 Arbeiter in Lódz auf den Straßen demonstrierten, Generalstreiks machten, Barrikaden bauten! Damals standen auch wir, deutsche Arbeiter, Schulter an Schulter mit unseren polnischen Brüdern im Kampfe.

Ja, damals zeigten die Arbeiter ihre Macht, welche in der Einigkeit und im mutigen Kampfe liegt. Die ganze Arbeiterschaft forderte damals hier im Lande wie in ganz Rußland den Achtstundentag und die politische Freiheit, die Republik.

Deshalb kriegten die Fabrikanten und auch die Regierung Angst vor den Arbeitern und fingen an, die Arbeiter als Menschen zu achten, ihre Forderungen zu erfüllen. Das waren herrliche Zeiten! Wohl gab es schwere Kämpfe und Opfer, mancher wanderte ins Gefängnis, manchen streckte die Kugel der Schergen in den Sand. Aber für die ganze Arbeiterschaft begann die Besserung, man rechnete mit uns, fürchtete uns, man gab uns nach, und die Sache kam vorwärts.

Dann aber ließen sich die Arbeiter schlagen von der Regierung, die Revolution hat aufgehört, die Arbeiter verließen den Kampf, die Organisationen lösten sich auf. Was haben wir dadurch gewonnen? Kaum [merkten] unsere Blutsauger, die Fabrikanten, daß die Arbeiter im Kampf nachließen, daß sie nicht mehr in der Organisation fest zusammenhielten, da stürzten sie sich auf uns wie Hyänen auf ein Aas. Sie fingen an, uns die Arbeitszeit zu verlängern, Hungerlöhne zu zahlen und uns mit jenen Massenaussperrungen zu verfolgen, die uns vor die Wahl stellten: entweder am Hungertuch nagen oder wie Hunde den Fabrikanten zu Füßen kriechen

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