Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 293

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die von diesen pensionierten Offizieren ohne Armee arrangiert werden, zum großen Teil niemand anderer als die sozialdemokratische Arbeiterschaft. Allein die Tatsache selbst, daß die Straßendemonstrationen ein politisches Kampfmittel und ein Bedürfnis des demokratischen Bürgertums geworden sind, zeigt, daß sie unmöglich ein genügendes Kampfmittel für das Bedürfnis der linken Front, der Sozialdemokratie, mehr sind. Ihrer Mission, alle oppositionellen Elemente der besitzenden Klassen vorwärtszudrängen, kann die Sozialdemokratie auch in diesem Falle nur in der Weise gerecht werden, daß sie die Aktion jener Elemente auf die Spitze treibt, daß sie ihnen in der Entschlossenheit der Parolen beständig wegweisend vorausgeht. Sind die Straßendemonstrationen zum Kampfmittel sogar für die Breitscheid, Liszt und Co.[1] geworden, so ist es höchste Zeit, daß die Sozialdemokratie sich besinnt, was ihr nächstes Kampfmittel sein wird.

So sieht sich die Partei von allen Seiten vor die Frage gestellt: Was weiter? Und diese Frage ist, da ihr der letzte preußische Parteitag leider mit einer mehr effektvollen als politisch wohlerwogenen Geste aus dem Wege gegangen ist,[2] nunmehr dringend auf dem Wege einer Diskussion in der Presse und in den Versammlungen zu lösen. Die Masse selbst der Parteigenossen im Lande muß erwägen und beschließen, was weiter zu geschehen habe. Nur dann, nur als Ausdruck des Massenwillens der Partei kann auch unsere weitere Kampftaktik den nötigen Nachdruck und die nötige Stoßkraft erhalten.

II

Eine Reihe von Beschlüssen und Äußerungen der sozialdemokratischen Arbeiterschaft in verschiedenen Zentren unserer Bewegung hat bereits die Antwort gegeben. In Halle, in Bremen, in Breslau, im hessen-nassauischen Agitationsbezirk, in Königsberg haben die Genossen laut dasjenige Kampfmittel genannt, dessen Anwendung sich der Partei im gegenwärtigen Massenkampfe von selbst aufzwingt, es ist dies der Massenstreik.

Prinzipiell hat unsere Partei den politischen Massenstreik ja schon vor

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[1] Rudolf Breitscheid war von 1908 bis 1912 Vorsitzender der Demokratischen Vereinigung, die 1908 durch Abspaltung einer bürgerlich-demokratischen Gruppe von der Freisinnigen Vereinigung entstanden war. Er sprach sich im Rahmen der Wahlrechtskämpfe für die Anwendung demokratischer Kampfmittel wie z. B. der Straßendemonstrationen aus. – Professor Franz von Liszt gehörte 1910 zu den Mitbegründern der Fortschrittlichen Volkspartei.

[2] Auf dem Parteitag der preußischen Sozialdemokratie in Berlin vom 3. bis 5. Januar 1910 war es zu keiner Diskussion über die Wahlrechtsfrage gekommen, obwohl in drei Anträgen die Anwendung des Massenstreiks als Kampfmittel gefordert worden war.