Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 58

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Generationen der Gesellschaft. Folglich müssen auch die Frauen ebenso wie die Männer das Recht haben, überall dort ihre Stimme abzugeben, wo es sich um das Schicksal und das Dasein der ganzen Bevölkerung, das heißt der Frauen, ihrer Männer und ihrer Kinder, handelt.

Für die Arbeiterklasse ist es wichtig, von welchem Lebensjahr an jedem das Stimmrecht bei den Parlaments- und Sejmwahlen zustehen soll. Die herrschenden Klassen sind bemüht, zum Schaden der Arbeiter in allen Ländern die Blüte der Jugend vom Stimmrecht auszuschließen und die Bürger erst vom 25. Lebensjahr an oder noch später zu den Wahlen zuzulassen. Die Sozialdemokratie fordert, daß jeder Bürger ohne Unterschied des Geschlechts, der Konfession und der Nationalität nach Beendigung seines 20. Lebensjahres das Recht besitzt, bei Wahlen die Stimme abzugeben und zum Abgeordneten gewählt zu werden.

Alle gegenwärtigen Regierungen erkennen an, daß ein Mann mit 21 Jahren reif und tauglich ist zum schwersten Dienst für die Allgemeinheit – für den Militärdienst. Das Zivilrecht in allen Staaten hält den Menschen nach Beendigung seines 20. Lebensjahres für reif und in der Lage, über seine Person und sein Vermögen nach eigenem Ermessen zu verfügen. In Wirklichkeit tritt die Reife und die Selbständigkeit für ein Mitglied der Arbeiterklasse dank der kapitalistischen Ordnung sogar schon viel früher ein als für ein Mitglied der besitzenden Klassen. Ein Kind aus dem Volk, ein Proletarier, ist gewöhnlich schon von frühester Jugend an gezwungen, für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, auf eigenen Füßen zu stehen. Fast als junger Bursche, in dem Alter, da die Söhnchen der Bourgeoisie noch ihre Zeit auf der Schulbank und beim Spiel verbringen, tritt der Arbeiter, der das Brot für sich und oftmals auch für die alten Eltern oder die Geschwister durch seine eigene schwere Arbeit verdient, schon als reifer Mensch aus der harten Schule des Lebens hervor. Deshalb ist es gerechtfertigt, daß jeder Bürger, vor allem aber jeder Mensch aus dem Volke zumindest mit dem 21. Lebensjahr das Stimmrecht bei Parlaments- und Sejmwahlen erhält, das heißt das Stimmrecht in Fragen, die die Verhältnisse und die Bedürfnisse des Staates und des Landes betreffen.

Dabei treiben der Kapitalismus, das Elend und die übermenschliche Arbeit den Arbeiter vorzeitig ins Grab. Wie die Gelehrten festgestellt haben, lebt ein Mensch aus der Arbeiterklasse im Durchschnitt bedeutend kürzer als einer aus der besitzenden Klasse. Folglich wird auch der Arbeiter in seinem Leben die Rechte durchschnittlich sowieso viel kürzer nutzen als der Kapitalist, der Adlige. oder der Geistliche (die Geistlichkeit lebt im allgemeinen am längsten). In Anbetracht dessen erfordern es

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