Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 558

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echt freisinnige Politik der Selbstbelügung. Für die Sozialdemokratie kann nur der Standpunkt maßgebend sein, den schon der preußische Parteitag ausgesprochen hat: Nicht durch irgendwelche parlamentarischen Mittel, durch den unmittelbaren Druck der Massen ganz allein kann das preußische Wahlrecht errungen werden. Wollte man also die elsaß-lothringische Reform für den preußischen Wahlrechtskampf ausnutzen, dann mußte das neue Argument in die Massen getragen werden. Massenversammlungen, Massendemonstrationen in Preußen mußten der Annahme der reichsländischen Verfassungsreform auf dem Fuße folgen. Keine andre Deutung ließen auch die Äußerungen unsres Zentralorgans zu, als es am 27. Mai über die Annahme der Verfassung für Elsaß schrieb:

„Ein Olmütz des Wahlunrechts ist diese Abstimmung gewesen, und an den Entrechteten ist es, zu sorgen, daß der moralischen Wirkung bald der volle Sieg folge. Herr v. Bethmann Hollweg mag derselbe geblieben sein, der er war, als er voll Haß und Hohn gegen unsere Wahlrechtsforderung auftrat. Dieselben Reden wird er nicht mehr halten können, ohne das Hohngelächter der Welt herauszufordern.

Wir wissen, noch sind die Widerstände gewaltig, die zu besiegen sind, um in Preußen-Deutschland des Volkes Willen zum obersten Gesetz werden zu lassen. Aber eine Position des Feindes ist genommen und die Kampfeslust neu belebt worden. Ein Schritt vorwärts ist getan – ob klein oder groß, ihm müssen weitere folgen!“

Und als es drei Tage später unter der munteren Aufschrift „Vorwärts in Preußen!“ also die Reveille schlug:

„Jawohl, sie werden sich auf ein neues Aufflammen unsrer Wahlrechtsbewegung einrichten müssen, und wir glauben, das Eisen wird geschmiedet werden, solange es heiß ist. Nicht auf parlamentarische Konstellationen rechnen wir dabei, wohl aber auf den fest entschlossenen Willen des preußischen Volkes. In ganz Süddeutschland herrscht das gleiche Recht, das Reichsland hat es bekommen, soll es uns allein denn noch länger versagt bleiben? Schier allzulange haben die herrschenden Junker im Dreiklassenhause unseren Mahnruf nicht gehört. Es ist Zeit, sie daran zu erinnern, daß auch in Preußen der Stillstand ein Ende haben, daß vorwärtsgegangen werden muß. Und deshalb: Keine Ruhe in Preußen, bevor das gleiche Wahlrecht gewonnen ist!“ [Hervorhebung – R. L.]

Was ist auf diese Kriegsdrommeten erfolgt? Gar nichts! Der lendenlahme „Aufruf“ des Vorstands und der Fraktion, der zu nichts aufruft und ein Mittelding zwischen einem Leitartikel und einer Plauderei darstellt, das ist alles, was auf die mit Pauken und Trompeten angenommene

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