Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 537

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allgemeine Wahlrecht, mit jener Begeisterung, die auch Sie in diesen Tagen beseelt haben wird. Da stürmten plötzlich vom Treptower Park her eine Menge von Polizisten mit bleichen, wutverzerrten Gesichtern auf uns ein. Da haben wir erfahren, wozu die Säbel, die wir mit unserem sauer verdienten Gelde bezahlen, da sind. Und am gleichen Tage stand im „Berliner Tageblatt“ die bis heute noch nicht widerlegte Nachricht, daß das Kaiserschloß von kriegsbereiten Soldaten besetzt sei, ja in der Kaserne des 1. Feldartillerieregiments waren alle Vorbereitungen zu einem Sturm aufs Volk getroffen. Die Kanonen standen bereit, die Soldaten hatten scharfe Munition erhalten. Da haben wir zum zweiten Male erfahren, wozu wir Deutsche Militär brauchen. Nicht zum Schutze gegen den äußeren Feind, o nein, zum Schutze der Junker und Industrieritter! (Stürmische Pfuirufe.) Und nun betrachten wir uns die Kriege, die Deutschland in der Zwischenzeit gehabt hat: der erste war der „glorreiche“ Chinakrieg[1], zu dem die Parole lautete: Gefangene werden nicht gemacht usw.; dann kam 1904 der noch glorreichere Hererokrieg[2]. Die Hereros sind ein Negervolk, das seit Jahrhunderten auf seinem heimischen Boden sitzt, den es mit seinem Schweiße gedüngt hat. Ihr „Verbrechen“ bestand darin, daß sie sich nicht willenlos beutegierigen Industrierittern, weißen Sklavenhaltern überantworten wollten, daß sie ihre Heimat gegen fremde Eindringlinge verteidigten. Auch in diesem Kriege haben sich die deutschen Waffen reichlich mit – Ruhm bedeckt. Herr von Throta gab den bekannten Armeebefehl heraus: Jeder Neger, der sich bewaffnet zeigt, wird niedergeschossen – Pardon wird nicht gegeben. Die Männer wurden erschossen, Frauen und Kinder zu Hunderten in die brennende Wüste gejagt, und in der mörderischen Omaheke bleicht der Kranz ihrer verdorrten Gebeine – ein Ruhmeskranz der deutschen Waffen! Aber es gibt auch noch andere Interessenten als die Industrieritter, das sind die Panzerplattenfabrikanten. Man sagt, wir seien Feinde der Arbeiter, nun, in Danzig hat sich deutlich gezeigt, wie die Milliarden verteilt werden. Auf der einen Seite züchtet man Millionäre wie Schichau und Gebrüder, auf der andern Seite werden brave Arbeiter aus den Wohnungen herausgeschmissen wie räudige Hunde. (Stürmische Pfuirufe.) Alle diese „patriotischen“ Interessenten wissen wohl den goldenen Segen aus den Taschen des arbeitenden Volkes in ihre eigenen weiten Taschen zu leiten. Man sagt auch, die Armee soll das Absatzgebiet für unsere Industrieerzeugnisse erweitern. Wir Sozialisten sind die letzten, die sich über die

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[1] 1899 war in Nordchina der Volksaufstand der Ihotuan ausgebrochen, der 1900 durch die vereinigten Armeen von acht Staaten unter Führung des deutschen Generals Alfred Graf von Waldersee grausam niedergeworfen wurde. China wurde gezwungen, hohe Kontributionen zu zahlen und der Errichtung von Stützpunkten für die Interventionsarmeen zuzustimmen. Das Eingreifen der deutschen Truppen ist auch als sogenannter Hunnenfeldzug bekannt geworden.

[2] Im Jahre 1904 hatten sich in Südwestafrika die Völker der Hereros und Hottentotten gegen die imperialistische Kolonialherrschaft erhoben. Der Aufstand, der den Charakter eines Freiheitskrieges trug, endete mit einer verlustreichen Niederlage dieser Völker, nachdem die deutschen Kolonialtruppen mit äußerster Grausamkeit drei Jahre lang gegen sie vorgegangen waren.