Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 53

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Die Sozialdemokratie des Königreichs Polen und Litauens stellt folgende Hauptforderungen auf:

1. die Proklamierung der Republik im ganzen russischen Reich

Ein dreiviertel Jahrhundert herrschte in unserem Lande ebenso wie in ganz Rußland unumschränkt der Absolutismus, das heißt, das despotische zaristische Regime. Unter diesem Regime war die Willkür des einzelnen auf dem Thron – auch wenn er ein Halbidiot war – Gesetz für hundertdreißig Millionen. Der selbstherrliche Zar verfügte durch seine Beamten und mit Hilfe der Kosakenknute über Besitz, Freiheit und Leben der Bevölkerung. Der Zar setzte mit seinen Beratern die Steuern willkürlich fest, vergeudete eigenmächtig das dem Volk geraubte Geld für Militär, für die Bürokratie und die Popen, verwickelte den Staat in verbrecherische Kriege, in denen Hunderttausende von Menschen, die Blüte der männlichen Bevölkerung, einen elenden Tod erlitten. Die gesamte Bevölkerung war Jahrhunderte hindurch aller politischen Rechte und Freiheiten beraubt, sie befand sich in der Sklaverei der zaristischen Regierung.

Solche Verhältnisse bestehen schon seit sechzig Jahren in keinem zivilisierten Lande mehr. Überall wurden die kaiserlichen oder königlichen Regierungen durch eine Verfassung, das heißt durch politische Rechte für die Bevölkerung, eingeschränkt. Unter einer wirklichen Verfassung werden die Gesetze nicht vom Monarchen und seinen Ministern erlassen, sondern vom Parlament, das heißt von der Versammlung der von der Bevölkerung gewählten Vertreter. Ebenso garantiert jede wirkliche Verfassung der Bevölkerung vor allem die Rede-, Presse- und Vereinsfreiheit usw., was ebenfalls die Willkür der Regierungen beschränkt.

Eine solche politische Ordnung wird konstitutionelle Monarchie genannt; sie besteht gegenwärtig in Deutschland, England, Italien, Holland, Japan, in der Mehrheit der zivilisierten Länder.

Aber die günstigste Regierungsform für die Arbeiterklasse ist die Republik, das heißt eine Ordnung, in der es weder einen Kaiser noch einen König gibt und wo an der Spitze ein Präsident steht, das heißt ein gewöhnlicher besoldeter Beamter, der für wenige Jahre gewählt wird. Eine kaiserliche oder königliche Herrschaft ist, selbst unter einer Verfassung, der Arbeiterklasse immer feindlich gesinnt. Ein konstitutioneller Monarch hat gewöhnlich wichtige politische Rechte: Er bestätigt die vom Parlament erlassenen Gesetze, ist der Oberbefehlshaber der Armee, ernennt, wie zum Beispiel in Deutschland, nach seinem Willen die Minister und Beamten, kann nach Gutdünken dem Land einen Krieg aufbürden usw. Und diese Macht verwendet der herrschende Monarch immer zugunsten

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