Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 522

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nahmen gegen die Arbeiterklasse mitmacht, die eine Stütze der politischen Zersplitterung Deutschlands, des Militarismus, der Junkerherrschaft in Preußen und der Herrschaft Preußens in Deutschland ist. Man muß auch hier wieder den „praktischen Sinn“ der „Realpolitiker“ bewundern, die es fertigbringen, nicht zu merken, daß die Monarchie in Deutschland nicht immer mehr zu einer Äußerlichkeit, sondern zu einem immer bedeutenderen Faktor des öffentlichen Lebens wird, um nicht zu merken, wie vor Angst und Haß gegen die Arbeiterklasse das Bürgertum sich – auch in Süddeutschland – in letzter Zeit immer fester um die Monarchie schart, wie in den bürgerlichen Kreisen – auch in Süddeutschland – der Byzantinismus immer widerwärtigere Formen annimmt. Unter diesen Umständen hat die Sozialdemokratie wahrhaftig weniger als je Anlaß, vor der Monarchie – sei es auch in steifer Positur, „mit Würde“ – Verbeugungen zu machen, und das Stuttgarter Ansinnen, sich über die republikanische Parteitradition, über die ausdrücklichen wiederholten Beschlüsse der Parteitage gegen jede Konzession an die Monarchie schlankweg hinwegzusetzen, erscheint freventlicher und sträflicher denn je.

Es genügt, alle diese Gesichtspunkte anzuführen, um einzusehen, daß hier zum mindesten ein Problem vorliegt, über das sich die Partei in ernstlichster Weise schlüssig werden muß. Mag sie entscheiden, wie sie für gut findet, aber Überlegung, Diskussion, Erörterung der Frage und Beschlußfassung der Masse der Genossen sind nötig. Die Art hingegen, in der der folgenschwere Entschluß in Stuttgart ohne jede vorherige Diskussion auch nur in Stuttgart selbst zwischen Tür und Angel gefaßt und dabei der flagrante Disziplinbruch begangen worden ist, kommt einer Überrumpelung der Partei auf ein Haar gleich.

Was besagt es demgegenüber, wenn die „Schwäbische Tagwacht“ jetzt nichts andres vorzubringen weiß als die armselige Redensart, „daß die Parteigenossen an der russischen, polnischen, dänischen, holländischen Grenze, die überdies das Recht der direkten Stadtvorstandswahl aus der Praxis gar nicht kennen, weil sie es leider nicht besitzen, die Verhältnisse in Stuttgart nicht so zu übersehen vermögen wie die Parteigenossen am Ort“. Besteht die Gesamtpartei Deutschlands aus Genossen „an der russischen, polnischen, dänischen, holländischen Grenze“? Diese fast rührende Armut der Beweisführung, diese Unfähigkeit, einen einzigen sachlichen Grund ins Treffen zu führen, sind aber charakteristisch für die ganze Politik einer gewissen Richtung. Für diese „praktischen Politiker“ gibt es eben keine Probleme. Nur zugreifen, ohne sich die Frage nach den praktischen Folgen vorzulegen, das ist die ganze Weisheit, und wenn es auch nur

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