Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 521

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der seinem ganzen Charakter nach ein Bindeglied zwischen der Gemeinde und der Krone ist.

Freilich, es handelt sich ja nur um eine süddeutsche Krone, um den „harmlosen Wilhelm II. von Württemberg“, der „nie ein verletzendes Wort gegen die Sozialdemokraten gesagt hat“. „Wir sollten“, meint die „Schwäbische Tagwacht“, „die Unterschiede, die in den Charaktereigenschaften und dem öffentlichen Auftreten der Monarchen der größten deutschen Bundesstaaten wahrnehmbar sind, nicht geflissentlich übersehen, sondern bei passender Gelegenheit unterstreichen, das könnte nach mancher Richtung heilsam wirken.“ Also nicht die Monarchie als Institution, sondern die Person des jeweiligen Landesvaters mit seinen „Charaktereigenschaften“, wie er sich räuspert und spuckt, das soll für unser Verhalten als Klassenpartei des Proletariats maßgebend sein, und wir sollen durch Belobigung der Tugendhaften und Verweise an Bösewichter auf dem Thron „bei passender Gelegenheit“ auf die Monarchen erzieherisch wirken. Die „Schwäbische Tagwacht“ scheint vergessen zu haben, daß auch der württembergische König früher in Kriegervereinsreden gegen die Sozialdemokratie gemacht hat und – was viel wichtiger – daß bei der Beratung der württembergischen Gemeindeordnung in der Kammer der Minister der königlichen Regierung seinerzeit erklärt hat: die Regierung werde nie dulden, daß die rote Fahne von den Rathäusern wehe, und daß er unter diesem Gesichtswinkel sich für das Proportionalwahlrecht ausgesprochen hat. Das Verhalten der Regierung der Lindemannschen Kandidatur gegenüber, und das nach allen demütigen Zusicherungen des Kandidaten im voraus, ist ja ein frischer Tropfen Wermut in den Kelch des Genossen Keil und seiner Freunde.

Vor allem aber kommt wieder ein typisch partikularistischer Horizont darin zum Ausdruck, das Institut der Monarchie nach der „Harmlosigkeit“ eines einzelnen Landesvaters zu bewerten, die tieferen Zusammenhänge aber der politischen Entwicklung im ganzen ganz außer acht zu lassen. Ist doch die äußere „Biederkeit“, d. h. die relative Passivität und Zurückhaltung der süddeutschen Träger der Monarchie, nur die andre Seite der aggressiven, offen brutalen Haltung der preußisch-deutschen Krone, ebenso wie sich die süddeutschen Regierungen den Luxus eines gewissen Scheinliberalismus gestatten können, gerade weil die preußisch-deutsche Reichspolitik für gemeinsame Rechnung die nötige Reaktion besorgt. Für die Sozialdemokratie ist jeder Träger einer deutschen Krone nicht eine harmlosere oder gehässigere Person, sondern das Haupt einer Klassenregierung, die im Bundesrat alle reaktionären Knebelungsmaß-

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