Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 517

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mögliche an kommunalpolitischen Reformen, was dieses Ich kann, wünscht, für richtig hält, verspricht, war der einzige Inhalt der Agitation. Wie die Partei einerseits und ihre allgemeine Auffassung hinter der amerikanischen Reklame für die Person des Kandidaten verschwand, so war auch der Umstand vollkommen vergessen, daß ja nach dem sozialdemokratischen Standpunkt der Beamte möglichst wenig aus seinem eigenen Ich heraus schalten und walten, möglichst nur ein gehorsamer Diener der Gemeindevertretung sein soll. Sind wir doch auch prinzipiell gegen jede eigenmächtige Handlung der Regierung unter Ausschaltung der Volksvertretung, auch wo wir zufällig sachlich mit den Maßregeln der Regierung einverstanden sind und wo uns eine reaktionäre Parlamentsmehrheit entgegensteht.

Ein Sozialdemokrat wird es also mehr als jeder andre Parteipolitiker als Beamter für seine Pflicht halten müssen, ein getreu ausführendes Organ der gegebenen Mehrheit der Volksvertretung zu sein, ihr seine persönliche Auffassung unterzuordnen. Wie soll ein sozialdemokratischer Bürgermeister aus einer solchen Zwickmühle zwischen seinen Pflichten als demokratisch denkender Beamter und seinen Parteiüberzeugungen herauskommen? Auf diese Fragen eine klare Antwort zu geben wäre erste Pflicht derjenigen Stuttgarter Genossen, die den Oberbürgermeisterposten für eine so unschätzbare Machteroberung hielten, daß sie ihm zuliebe die Parteidisziplin und die republikanische Parteitradition preiszugeben sich bereit erklärten.

Nun kommen aber die sonstigen Befugnisse, die vom Gemeinderat nicht eingeengte Machtsphäre des Oberbürgermeisters, hinzu. Sie ist durchaus nicht gering. Worin besteht sie aber? In seinen Pflichten als Staatsbeamter, als Hilfsorgan der Staatsregierung, und diese sind noch mehr geeignet, ihn in Konflikt mit seinen sozialdemokratischen Überzeugungen zu bringen. Nennen wir nur die Pflicht des Ortsvorstehers, an der Spitze der Polizei zu stehen und für „die Aufrechterhaltung der Ordnung“ zu sorgen. Allerdings beziehen sich diese Befugnisse formell ebenso auf den kleinsten Dorfschulzen. Allein, es ist eben nichts als trockener Formalismus, der mit wirklicher praktischer Politik im direkten Widerspruch steht, wenn mit dem Hinweis auf unsre Bürgermeister in kleinen Gemeinden die Frage des „Stadtschultheißen“ von Stuttgart erledigt werden soll. Das Vorsteheramt einer monarchischen Residenzstadt ist denn doch etwas andres als das eines Dorfschulzen oder des Ortsvorstehers von Weiblingen. In der modernen Großstadt, im Mittelpunkt der Regierung eines kapitalistischen Klassenstaats kommen die sozialen und politischen Gegen-

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