Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 511

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„Nunmehr möchte ich im Anschluß an diese Mitteilungen die Meinung aussprechen, daß ich voraussetze und der Zustimmung des Parteitages sicher bin, daß die Erklärung, die seitens der Beteiligten abgegeben wird, wenn auch nicht formell für die sozialdemokratische Fraktion des württembergischen Landtages, doch auch tatsächlich für die übrigen Mitglieder der Fraktion gilt. Ich gebe ferner der zuversichtlichen Erwartung Ausdruck, daß in allen Körperschaften der Partei der Auffassung der Partei, die dahin geht, daß es unsre Aufgabe nicht ist, an monarchischen Demonstrationen teilzunehmen, sondern daß wir im Gegenteil die Aufgabe haben, unserer republikanischen Auffassung Ausdruck zu verleihen, entsprechend der Tatsache, daß alle Regierungen der bürgerlichen Gesellschaft nicht bloß andere Prinzipien und Ziele vertreten als wir, sondern uns feindlich gesinnt sind und alles tun, um unsere Auffassung zu unterdrücken – ich habe die zuversichtliche Erwartung, daß in allen Körperschaften der Partei bei solchen oder ähnlichen Gelegenheiten der in der Partei geltenden Auffassung nach wie vor auf das entschiedenste nachgekommen werden wird.“[1]

Die Ausführungen Singers wurden mit dem lebhaftesten Beifall vom Parteitag aufgenommen.

Schon der nächste Parteitag mußte sich wieder mit der Frage der monarchischen Kundgebungen befassen. Dem Magdeburger Parteitag legten der Parteivorstand und die Kontrollkommission zur Budgetfrage die bekannte Resolution vor, deren letzter Passus lautet:

„Der Parteitag erklärt weiter die Teilnahme an höfischen Zeremonien und monarchischen Loyalitätskundgebungen für unvereinbar mit unsern sozialdemokratischen Grundsätzen und macht den Parteigenossen zur Pflicht, solchen Kundgebungen fernzubleiben.“[2]

Zweimal hat also die oberste Instanz der Partei klar und deutlich gesprochen. Seitdem ist noch nicht ein Jahr verflossen, und nun wird plötzlich in demselben Stuttgart, dessen Hofgänger in der angeführten Weise von der Gesamtpartei in Leipzig belehrt worden sind, ein Mann als Kandidat für ein öffentliches Amt aufgestellt, der laut erklärt, daß eine genaue Prüfung der Organisationsbeschlüsse ihm gezeigt habe, daß mit ihnen die Ausübung eines Postens als Oberbürgermeister unmöglich sei, daß er volle Freiheit (unterstrichen in der „Schwäbischen Tagwacht“, Nr. 103) in der Ausübung der Repräsentationspflichten, namentlich auch

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[1] Ebenda.

[2] Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten in Magdeburg vom 18. bis 24. September 1910, Berlin 1910, S. 178.