Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 507

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den Bürgermeister wählen; doch ändert das nichts an dem Kernpunkt der Frage.

Dies ist die allgemeine, prinzipielle Seite des Problems. Immerhin aber, wie man auch über die Sache denkt, soviel ist klar: Es handelt sich da um ein völlig neues Experiment, um ein noch nicht betretenes und ausprobiertes Gebiet der sozialdemokratischen Politik, und da dürfte jeder Genosse der Meinung zustimmen, daß man so wichtige Probleme nicht auf eigne Faust in einer Stadt entscheidet, ohne der Partei im ganzen Gelegenheit zu geben, sich über die Sache zu äußern. Wir sind eine demokratische Partei, in der die Mehrheit der großen Masse der Genossen in jeder wichtigen Frage entscheidend ist. Über die Frage, ob wir Oberbürgermeisterposten besetzen und wenn ja, an welche Bedingungen dies geknüpft ist, darüber zu entscheiden sind offenbar vor allem die Parteitage der deutschen Sozialdemokratie berufen, nachdem in einer genügenden Aussprache und in der Parteipresse die weitesten Kreise der Partei haben Stellung nehmen können. War der Fall dringend und lag kein entsprechender Beschluß des Parteitags vor, so war es unsres Erachtens Pflicht der Stuttgarter Genossen, zum mindesten sich in der ungewöhnlichen Situation mit dem Parteivorstand in Verbindung zu setzen, um so indirekt mit der Gesamtpartei Fühlung zu nehmen. Doch fällt noch ein weiterer Umstand auf. Könnten wenigstens die Stuttgarter Genossen selbst mit ruhigem Gewissen und nach reiflicher Überlegung das Experiment auf eigne Faust wagen! Aber nicht einmal in Stuttgart selbst hat irgendeine Diskussion, eine Aussprache der Masse der Parteigenossen über die Frage der Oberbürgermeisterwahl stattgefunden. Weder die württembergische Landesversammlung noch lokale Versammlungen in Stuttgart, noch Vertrauensmännerversammlungen haben sich unsres Wissens je mit der Frage befaßt. Die „Schwäbische Tagwacht“ hat nicht einen einzigen Artikel über die Sache gebracht, nichts über die Tätigkeit des verflossenen Oberbürgermeisters, über die Interessen, die hier in Frage kommen, über die Aufgaben der Sozialdemokratie geschrieben! Ohne jede Vorbereitung, also zwischen Tür und Angel, genau acht Tage vor dem Wahltermin, faßt plötzlich eine Parteiversammlung einen so bedeutsamen Beschluß!

Doch die näheren Umstände jener Stuttgarter Versammlung vom 4. Mai bringen noch weitere Überraschungen. Auf die Erklärung des Genossen Dr. Lindemann hin, daß nach seiner genauen Prüfung der Organisationsbeschlüsse mit ihnen die Ausübung des Oberbürgermeisteramts unmöglich sei, da er volle Freiheit in der Ausübung der Repräsentationspflichten, namentlich auch in dem amtlichen Verkehr mit der Krone brauche, wurde

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