eine schiefe Position geraten. Er kann nicht als Sozialdemokrat wirken, die Partei aber ist dann in ihrer Kritik dem eignen Mitglied gegenüber selbstverständlich gehemmt. Dazu kommt noch der weitgehende Einfluß des Oberbürgermeisters auf Besetzung von Posten und Pöstchen privater Natur, der sehr leicht zu einer Quelle der Korruption in der Partei werden kann. Auch hier bildet das Millerandsche Experiment ein deutliches und abschreckendes Beispiel. Freilich kann die Tätigkeit des Oberbürgermeisters fortschrittlich oder reaktionär sein, den Entwicklungsbedürfnissen des Gemeinwesens förderlich und nützlich oder hinderlich und schädlich sein, den Interessen der Arbeiterbevölkerung und ihren Forderungen mehr oder weniger Rechnung tragen. Es ist deshalb für die Arbeiterklasse durchaus nicht gleichgültig, wer den Oberbürgermeisterposten besetzt. Und hat die Sozialdemokratie dank ihrer numerischen Stärke in der Stadt die Möglichkeit, ihre Stimmen und ihren Einfluß in die Waagschale zu werfen, so wäre es höchst töricht, von der eignen Macht nicht Gebrauch zu machen und die Oberbürgermeisterwahl dem Wettstreit der bürgerlichen Parteien allein zu überlassen. Die Sozialdemokratie muß, wo sie irgend kann, ihren Einfluß geltend machen, und verbietet es sich für sie aus prinzipiellen und taktischen Gründen, selbst einen Posten zu übernehmen, so bleibt ihr immer noch die volle Möglichkeit, seine Besetzung durch einen geeigneten Mann aus bürgerlichen Kreisen zu erstreben. Hätten die Parteigenossen in Stuttgart einen anständigen Liberalen als ihren Kandidaten aufgestellt und ihn dabei an bestimmte Verpflichtungen gebunden, dann wären die Interessen der Arbeiterschaft in positiver Weise auf ihre Rechnung gekommen, und es wäre eine klare, unzweideutige Lage geschaffen. Hält sich dann der gewählte Oberbürgermeister an seine Zusicherungen, um so besser für die Stadt und die proletarische Bevölkerung. Hält er sich daran nicht oder in ungenügendem Maße, so ist die Sozialdemokratie damit nicht kompromittiert, und jedenfalls behält sie sich das Wichtigste: die freie Hand in der weitgehendsten Kritik gegenüber der Tätigkeit des Oberbürgermeisters. Diese Taktik ist bereits von unsrer Partei mit Erfolg angewendet worden. Als vor vier Jahren die Genossen in Offenbach die Majorität in der Stadtverordnetenversammlung und damit die Möglichkeit, den Bürgermeister zu bestimmen, hatten, haben sie sich wohl gehütet, das gewagte Experiment der Stuttgarter Genossen anzuschneiden. Sie haben vielmehr den freisinnigen Direktor des Statistischen Amts zu Königsberg, Dr. Dullo, zu ihrem Kandidaten gemacht und ihm den Posten auch übertragen. Der Wahlmodus ist zwar in diesem Falle ein andrer, da in Offenbach nicht die Gemeindebürger, sondern die Stadtverordneten