Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 495

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Wünschenswertes ersannen, sondern uns in allen Dingen auf die Erkenntnis der Tendenzen der gesellschaftlichen Entwicklung stützten, die objektiven Richtlinien dieser Entwicklung zum Maßstab unsrer Stellungnahme machten. Nicht die Möglichkeit vom Standpunkt des jeweiligen Kräfteverhältnisses im Staat, sondern die Möglichkeit vom Standpunkte der Entwicklungstendenzen der Gesellschaft war uns bis jetzt immer maßgebend. Wenn wir den gesetzlichen Achtstundentag immer wieder fordern, obgleich diese Forderung in den heutigen Parlamenten völlig aussichtslos ist, so deshalb, weil sie gerade auf der Linie der fortschrittlichen Entwicklung der Produktivkräfte, der Technik, der internationalen Konkurrenz des Kapitalismus liegt. Nur weil der Achtstundentag zugleich ein enormer revolutionierender Schritt in der Aufklärung und Organisation der Arbeiterklasse wäre, sträubt sich die Bourgeoisie aus allen Kräften dagegen. Wirtschaftlich jedoch wäre der Kapitalismus durch die Einführung des Achtstundentags nicht bloß in seiner Entwicklung nicht aufgehalten, sondern er würde dadurch seine höchste, fortschrittlichste Stufe erklimmen. Die Einschränkung der Rüstungen hingegen, eine Rückbildung des Militarismus, liegt nicht auf der Linie der Fortentwicklung des internationalen Kapitalismus, sondern er könnte sich nur aus der Stagnation der kapitalistischen Entwicklung ergeben. Nur wer einen Stillstand in der Weltpolitik erhofft – und diese ist das höchste und letzte Stadium der kapitalistischen Entwicklung –, kann einen Stillstand in den Fortschritten des Militarismus für wahrscheinlich halten. Die Weltpolitik und der ihr dienende Militarismus zu Lande und zu Wasser, in Kriegs- und Friedenszeiten, ist doch nichts andres als die spezifisch kapitalistische Methode, internationale Gegensätze zugleich zu entwickeln und zum Austrag zu bringen. Mit der Fortentwicklung des Kapitalismus und des Weltmarkts wachsen und steigern sich diese Gegensätze zusammen mit den inneren Klassengegensätzen ins Ungemessene, bis sie zur Unmöglichkeit werden und die soziale Revolution herbeiführen. An die Möglichkeit, diese internationalen Konflikte abflauen, sich mildern und verwischen zu lassen, kann nur glauben, wer an die Milderung und Abstumpfung der Klassengegensätze, an die Eindämmung der wirtschaftlichen Anarchie des Kapitalismus glaubt. Sind doch die internationalen Gegensätze der kapitalistischen Staaten nur die andre Seite der Klassengegensätze, die weltpolitische Anarchie nur die Kehrseite der anarchischen Produktionsweise des Kapitalismus. Beide können nur zusammen wachsen und zusammen überwunden werden. „Ein bißchen Ordnung und Friede“ ist deshalb genauso unmöglich, genauso eine kleinbürgerliche Utopie in bezug auf den kapita-

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