Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 481

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in den Verbänden in Wirklichkeit nichts anderes als eine Nasführung der Gewerkschaften ist. Parteigenossen! Deshalb müssen wir uns jedesmal freuen, wenn durch eine große Massenbewegung die Anhänger der christlichen Verbände und der Hirsch-Dunckerschen Verbände zusammen marschieren. Freilich, dieses Marschieren hat nur dann seinen Zweck erfüllt, wenn wir dabei die volle Öffentlichkeit haben und diese politisch ausnutzen und die Massen, die hinter den bürgerlichen Führern herlaufen, aufklären über das eigentliche Wesen ihrer Interessen und Aufgaben.

Parteigenosse! Es gibt noch einen weiteren Einwand, der scheinbar sehr plausibel und eine sehr gefährliche Waffe gegen den politischen Massenstreik ist, und dieser Einwand ist gewöhnlich der: Wir stellen den Hauptfaktor der Macht unserer gewerkschaftlichen Organisationen, wir stellen unsere Kasse, unsere finanziellen Mittel auf die Probe. Keine Gewerkschaft kann von sich, vor eine gewaltige Massenbewegung, vor einen gewaltigen Massenstreik gestellt, erklären: Wir haben in unserer Gewerkschaft Mittel genug, um ungezählte Hunderttausende während langer Monate unterhalten zu können. Aber, Genossen, die ganze Auffassung der Sache ist vollständig falsch. Wir können nicht vom Standpunkte des Kassenbestandes überhaupt so gewaltige Bewegungen, wie politische Massenstreiks es sind, erwägen. In solchen Fällen müssen wir vor allem rechnen auf etwas anderes als auf die klingende Münze in unsern Kassen und Kassenbüchern. Wir müssen rechnen auf die unerschöpfliche Quelle des Idealismus bei der Ausführung der Sache. Mit Kassen allein können solche gewaltigen Schlachten, wie sie uns jetzt bevorstehen, in Zukunft nimmermehr geschlagen werden. Da muß die große Hingebung an unsere großen Ziele und Aufgaben angespannt werden, da muß der letzte aus der Masse verstehen, daß es sich um solche Aufgaben handelt, um derentwillen man nicht nur monatelang darben kann, um derentwillen man nötigenfalls das Leben drangibt. („Bravo!“) Parteigenossen! Bis jetzt hat noch niemals die Rechnung auf die Ideale der Massen in unserer Geschichte versagt. Haben wir nicht Beispiele genug gehabt während des modernen proletarischen Kampfes um die Befreiung, daß die Massen wohl das Allerschwerste zu ertragen verstehen? Wenn sie nur vor sich klar das Ziel erblicken, das dazu führt, sie von dem Joch des Kapitalismus zu befreien. Parteigenossen 1 So war es im Jahre 1848, und nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich während der berühmten Februarrevolution. Damals trugen sich die Proletarier mit dem holden Wahn, daß sie nur eine große Anstrengung voller Opfer zu machen brauchten, damit sie gleich in kürzester Frist die sozialistische Gesellschaftsordnung verwirklichen könnten. Nach-

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