Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 47

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führen, dem die Macht und entsprechende Mittel zur Verfügung stehen. Solche Veränderungen wie der Entzug aller Privilegien zur Ausbeutung und Unterdrückung werden nicht ohne entschiedenen Widerstand ihrer bisherigen Besitzer vor sich gehen. Die Arbeiterklasse muß zur Durchführung des sozialistischen Umsturzes die Mittel in ihren Händen haben, um die Widerstrebenden zum Gehorsam zu zwingen, Mittel zur Durchführung der notwendigen Änderungen in der Produktions- und Austauschweise, Mittel zur völligen Reformierung der staatlichen Institutionen. Mit einem Wort: Als Einleitung für die Verwirklichung des Sozialismus ist es notwendig, daß die Arbeiterklasse für eine bestimmte Zeit die Alleinherrschaft im Staat ausübt, das heißt, daß sie die Diktatur der Arbeiterklasse errichtet.

Folglich muß der Kampf für die Befreiung des Proletariats vom Joch des Kapitalismus vor allem ein politischer Kampf sein, ein Kampf gegen die gesamte Bourgeoisie als Klasse um die Herrschaft im Staate.

Die heute in den Ländern Westeuropas herrschende Bourgeoisie ist auch auf keinem anderen Wege zur Macht gelangt. Vor Beginn der industriellen Entwicklung, im Mittelalter und sogar bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, war die Bourgeoisie ein Nichts im Staate, der Feudaladel aber, der sich auf die feudale Ausbeutung des Bauern stützte, war alles. Die Kaufleute, kapitalistischen Unternehmer, reichen Handwerker, die nicht zum Adel gehörten, hatten ebensowenig Einfluß auf die Regierung, die Gesetzgebung und die Finanzen wie die Bauern oder die Arbeiter. Sie hatten nur die Steuerlast zu tragen, der Adel plünderte Handwerker und Kaufleute, sie ernteten nichts als Verachtung und Erniedrigung. Dieser Zustand dauerte so lange, bis die Bourgeoisie so weit angewachsen war und sich gekräftigt hatte, daß sie sich stark genug fühlte, das Joch der feudalen Regimes abzuschütteln. Damals gab es eine Reihe revolutionärer Ausbrüche in den wichtigsten Ländern Westeuropas. Im Jahre 1789 brach die Große Französische Revolution aus; die Bourgeoisie führte das Volk von Paris an, verjagte, gestützt auf dessen Fäuste, den Adel aus der Regierung und schaffte alle mittelalterlichen Privilegien des Wappens und des adligen Geblüts ab. Noch viele Jahre dauerte dieser revolutionäre Kampf an, bis in Frankreich die totale Herrschaft des Geldsacks und der Bourgeoisie begann, die bis auf den heutigen Tag besteht. Das gleiche wiederholte sich in Deutschland und in Österreich im Jahre 1848.

In jenen Zeiten empfand die Kapitalistenklasse keinen Widerwillen gegen die Revolution, gegen das Blutvergießen und gegen Mittel der Gewalt. Es handelte sich damals um die Durchsetzung der Herrschaft der

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