Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 46

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Staatsgeldern finanziert – dienen hauptsächlich der Ausbildung der Jugend des wohlhabenden Bürgertums, für das arbeitende Volk sind die Bildungsstätten fast unzugänglich, und durch Unwissenheit wird es in fügsamer Passivität gegenüber den Kapitalisten gehalten. Selbst in der Kirche, die von den Steuern der Arbeiterbevölkerung unterhalten wird, predigen die Geistlichen den Arbeitern Demut gegenüber der kapitalistischen Ausbeutung, Achtung vor dem Eigentum der Kapitalisten und Ergebung in ihr eigenes Elend und ihre Erniedrigung.

Auf diese Weise stehen alle Institutionen im Staat – Militär, Verwaltung, Gesetzgebung, Gerichtsbarkeit, Steuersystem, Schule und Kirche – im Dienste der Kapitalistenklasse, sind sie deren Werkzeug gegen die Klasse des Proletariats. Die gesamte Staatsmacht ist ein Werkzeug der kapitalistischen Ausbeutung. Die Kapitalisten besitzen also nicht nur die Produktionsmittel, sondern sie halten auch die Staatsmacht in ihren Händen. Nicht nur jeder Kapitalist herrscht in seiner Fabrik ökonomisch über seine Arbeiter, sondern die gesamte Kapitalistenklasse herrscht im Staate politisch über die werktätige Bevölkerung.

Angesichts dessen ist es unmöglich, den Kapitalisten die Produktionsinstrumente wegzunehmen, wenn ihnen die Arbeiter nicht vorher die politische Macht entreißen: das Militär, die Gesetzgebung, die Verwaltung. Solange sich alle diese Mittel der Herrschaft und Gewalt in den Händen der Kapitalisten befinden, haben Privateigentum und Ausbeutung gute Wächter, so daß die Arbeiter von ihrer Abschaffung nicht einmal träumen können. Die erste Voraussetzung für die Vergesellschaftung der Produktionsinstrumente besteht folglich darin, daß die Arbeiterklasse die Staatsmacht – die Regierung, die Gesetzgebung, das Militär, die Steuermaschinerie – in ihre Hände nimmt.

Sich der Regierung zu bemächtigen ist für den sozialistischen Umsturz noch aus einem anderen Grunde notwendig. Heute wird die Produktion von jedem privaten Kapitalisten in seiner Fabrik, von jedem Gutsbesitzer auf seinem Gut nach eigenem Gutdünken geleitet. Die sozialistische Wirtschaft muß auf der Verbindung aller dieser Privatwirtschaften zu einer einzigen Wirtschaft und auf einer ganz anderen Produktionsweise beruhen, und zwar für die gesamte Gesellschaft nach einem allgemeinen Plan. Auch die heutige Gerichtsbarkeit, die heutigen Schulen, das heutige Militär, die auf die Herrschaft der einen Gesellschaftsklasse über die andere zugeschnitten sind, werden für die sozialistische Gesellschaft völlig untauglich sein und müssen von Grund auf verändert werden. Eine solch große allgemeine Reform läßt sich nur von einem Zentrum aus durch‑

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