Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 48

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Bourgeoisie, doch die Opfer in diesen Revolutionen brachte hauptsächlich die Arbeiterklasse im Dienste der Bourgeoisie, indem sie auf den Barrikaden ihr Leben ließ. Heute ist die Reihe an der Arbeiterklasse, sie muß für sich selbst nach der Herrschaft streben.

Als die Bourgeoisie die politische Macht den Händen des mittelalterlichen Adels entrissen hatte, ergab sich daraus für das Volk nur eine neue Form der Ausbeutung und Unterdrückung. An die Stelle der Peitsche der Leibeigenschaft trat die Geißel des Hungers für den „freien Lohnarbeiter“, an die Stelle der Sklaverei unter dem Zepter des Adels trat die Hölle der Fabrikarbeit. Die Arbeiterklasse strebt nach der politischen Macht nicht deshalb, um eine neue Form der Herrschaft und Unterdrückung hervorzubringen, sondern um ein für allemal jede Unterdrückung und Herrschaft abzuschaffen. Für die Verwirklichung des Sozialismus ist es notwendig, daß das Proletariat die Staatsgewalt ergreift und sie mit starker Hand zur Ausrottung der heutigen gesellschaftlichen Einrichtungen benutzt. Doch die Diktatur des Proletariats wird der letzte Fall der Anwendung von Gewalt in der Geschichte der Menschheit überhaupt sein und der erste Fall ihrer Anwendung zugunsten der breiten Massen der Enterbten.

Die Arbeiterklasse ist in ihrer gegenwärtigen Lage auf die Durchsetzung der großen Aufgaben, die auf sie warten, noch nicht vorbereitet. In allen kapitalistischen Ländern muß sie vorher vom Streben zum Sozialismus durchdrungen werden; noch müssen gewaltige Volksmassen zum Bewußtsein ihrer Klasseninteressen gelangen.

Auf die Eroberung der politischen Macht muß sich das Proletariat durch den täglichen, unermüdlichen Kampf gegen die kapitalistische Ausbeutung und die bürgerliche Regierung vorbereiten. Der gewerkschaftliche Kampf ist notwendig, um die arbeitende Bevölkerung wenigstens teilweise aus der Tiefe des Elends zu reißen, in die sie die Ausbeutung stößt. Der politische Kampf dient der Verteidigung der Interessen des Proletariats und der allmählichen Einflußgewinnung auf die Gesetzgebung und die gesamte Staatspolitik. Verstreut, als Einzelwesen oder lockere Gruppen können die Arbeiter den Kampf um die Verbesserung ihres Daseins nicht führen noch die Staatsmacht ergreifen. Zu diesem Zwecke ist es notwendig, daß sie sich in einer politischen Partei organisieren. Eine solche Klassenpartei des Proletariats ist die Sozialdemokratie, die immer und überall die materiellen und geistigen Interessen der arbeitenden Bevölkerung verteidigt, sie zu einer kämpfenden Armee zusammenfaßt, das sozialistische Bewußtsein unter den Massen verbreitet

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