Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 465

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Kampfes sein, wie er vielleicht in der Welt noch nie dagewesen ist, denn zusammen mit den nächsten Angehörigen und mit den Familien würden vielleicht eine Million Menschen im Kampfe sein, in einem Kampfe, in dem es sich handelt um Sein oder Nichtsein zwischen der stärksten Gewerkschaftsorganisation und dem übermächtigen, protzigen Kapital.

Parteigenossen! In einem solchen Moment, wie ich gesagt habe, zwischen zwei gewaltigen Schlachten, ist es gerade angezeigt für uns, über das Thema hier zu sprechen und nachzudenken, was für uns die aktuellste Frage des Gestern und des Morgen bedeutet. So, Parteigenossen, so, werte Anwesende, lernt einmal die kämpfende, organisierte Arbeiterklasse in Deutschland und anderwärts, mitten im Schlachtfelde, mitten im Feuer des Kampfes einen Moment erhaschen, um nachzudenken, zu analysieren, um das Bewußtsein zu schärfen, um die Waffen zu prüfen, die sie im Kampfe anzuwenden hat.

Und das ist ganz natürlich, das ergibt sich aus dem Wesen des Arbeiterkampfes selbst. Die moderne proletarische Klasse führt ihren Kampf nicht nach irgendeinem fertigen, in einem Buch, in einer Theorie niedergelegten Schema; der moderne Arbeiterkampf ist ein Stück in der Geschichte, ein Stück der Sozialentwicklung, und mitten in der Geschichte, mitten in der Entwicklung, mitten im Kampf lernen wir, wie wir kämpfen müssen. Parteigenossen und werte Anwesende! Das ist ja gerade das Bewundernswerte, das ist ja gerade das Epochemachende dieses kolossalen Kulturwerks, das in der modernen Arbeiterbewegung liegt: daß zuerst die gewaltige Masse des arbeitenden Volkes selbst aus eigenem Bewußtsein, aus eigener Überzeugung und auch aus eigenem Verständnis sich die Waffen zu ihrer eigenen Befreiung schmiedet. Und deshalb ist es außerordentlich wichtig, daß wir solche kurzen Momente des Stillstandes zwischen Schlachten, wie wir sie hier erleben, vollauf ausnutzen zu kriegerischen Erwägungen, zur Analyse, zur Prüfung aller Seiten, aller Fragen, aller Probleme, die das Leben an uns stellt.

Eines der wichtigsten Probleme, die jetzt sowohl die gewerkschaftlichen wie die sozialistischen Organisationen beschäftigen, nicht nur in Deutschland, sondern in allen modernen Ländern, ist das Problem des Massenstreiks. Und nun sehen Sie, wie eine interessante Erscheinung sich dabei herausstellt. Wie sooft, ergibt sich hier, daß die Geschichte nicht stehenbleibt, daß die Entwicklung vorwärtsgeht, daß für unser soziales politisches Leben und Tun vollauf gilt, was Mephisto in Goethes „Faust“ gesagt hat: „Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage.“ Alles verändert sich mit der Zeit.

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