Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 464

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die Anwesenheit der löblichen Polizei eine hübsche Folie für das Thema, das wir am heutigen Abend behandeln werden.

Ich werde im Laufe des heutigen Abends hoffentlich noch eine Gelegenheit haben, den speziellen Zusammenhang zwischen den Massenaktionen und Massendemonstrationen des Proletariats und der löblichen Polizei zu beleuchten. Ich glaube, es ist gut, wenn auch diese Herren einmal die Gelegenheit haben zu hören, was wir von ihnen denken. („Sehr richtig!“) Ich verliere nie die Hoffnung, daß auch sie mal etwas lernen können, und daher sollten wir doch nicht so geizig sein mit unseren Worten und Lehren. Wir wollen auch einmal unsere Perlen vor die – preußische Polizei werfen.

Parteigenossen und werte Anwesende! In der Tat kann kein Thema in dem gegenwärtigen Moment in einer deutschen Gewerkschaftsversammlung aktueller sein als das Thema Massenstreik und Gewerkschaften. Wir haben uns hier versammelt, um dieses Thema zu diskutieren, um nachzudenken, gewissermaßen zwischen zwei gewaltigen Schlachten. Erst vor wenigen Wochen haben Sie hier in Hagen und Schwelm[1] einen mustergültigen, großartigen Kampf ausgefochten, wie er die Aufmerksamkeit und die Bewunderung der gesamten klassenbewußten Arbeiterschaft in Deutschland verdient, und in kurzer Zeit, werte Anwesende, werden Sie vielleicht gezwungen sein, Sie und Ihre zahllosen Kollegen und Kameraden, in ganz Deutschland in einen so gewaltigen Kampf einzutreten, wie wir ihn in Deutschland noch niemals erlebt haben. Sie wissen alle, daß in wenigen Tagen, übermorgen, die Vertreter der organisierten Arbeiterschaft mit den gewaltigen Kapitalmagnaten der Schiffsbauwerften in Verhandlung treten, wonach entschieden werden soll, ob 400 000 deutsche Metallarbeiter aufs Pflaster geworfen werden.[2]

Parteigenossen! Sollte das Tatsache werden und sollte daraus folgen, was höchstwahrscheinlich von der Solidarität, von dem Klassenbewußtsein, von der Kampfenergie der gesamten organisierten Metallarbeiterschaft zu erwarten ist, so würden wir in ganz Deutschland Zeugen eines

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[1] Mitte des Jahres 1910 waren in Hagen, Schwelm und anderen westfälischen Orten etwa 20 000 Metallarbeiter ausgesperrt worden. Unter Leitung der Organisation kämpften neben 2790 im Deutschen Metallarbeiter-Verband, im Hirsch-Dunckerschen Gewerkverein, in den christlichen Gewerkvereinen und im Schmiedeverband organisierten Arbeitern etwa 17000 nichtorganisierte Arbeiter gemeinsam gegen die Versuche der Unternehmer, die trotz mannigfaltiger Schwierigkeiten geschlossene Front der Arbeiter zu spalten.

[2] Der Verband Deutscher Metallindustrieller hatte zur Unterdrückung des seit dem 4. August andauernden Streiks der Werftarbeiter gedroht, 60 Prozent der Metallarbeiter Deutschlands, etwa 400 000 Arbeiter, auszusperren. In den Verhandlungen Anfang Oktober 1910 waren die Werftbesitzer zu Teilzugeständnissen bereit, die unter dem Einfluß der reformistischen Gewerkschaftsführer von den Arbeitern angenommen wurden. Die Arbeitsaufnahme wurde für den 10. Oktober beschlossen.