Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 439

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Wahlrechtskampf zu greifen. Eine große Massenstreikagitation müsse entfesselt werden, solle die Wahlrechtsbewegung nicht zusammenbrechen.

Die Partei reagierte nicht auf diese Aufforderung, und nun erklärt Genossin Luxemburg am Ende ihrer bekannten Polemik, der Wahlrechtskampf in Preußen sei tatsächlich zusammengebrochen, und zwar deshalb, weil ihre Aufforderung keinen Widerhall fand.“

„Und nun erklärt Genossin Luxemburg am Ende ihrer bekannten Polemik“ – wo erklärt sie? Wo ist „das Ende“ dieser „bekannten“ Polemik, von der der „Vorwärts“ bis dahin nicht ein Wort über meine Artikel in der „Neuen Zeit“ gebracht hatte? Was habe ich dort in Wirklichkeit dargelegt und behauptet? Das sollen die Leser des „Vorwärts“ raten.

Nun kommt aber das Schönste. Der ganze unvermutete Überfall des „Vorwärts“ am 7. August hat den Zweck, mir um jeden Preis eine Solidarität mit Kolb und Genossen zu imputieren, den Eindruck zu erwecken, als begünstige ich die badische Rebellion[1], weil meine „Ausfälle“ sich „gegen dieselbe Seite richteten, gegen die die badischen Budgetbewilliger den Kampf in erster Linie führen zu müssen glaubten: gegen die Parteigenossen Preußens und deren leitende Instanzen“. Der „Vorwärts“ verschweigt aber dabei ruhig seinen Lesern, daß er bereits am 2. August einen Artikel von mir gegen die badischen Budgetbewilliger und Hofgänger abgelehnt hat, der vielleicht noch gründlicher als der „Vorwärts“ selbst die Sache anfaßt und den Frank und Kolb mitsamt ihrem jungtürkischen Sancho Pansa Eisner die Freude an unsrer Auseinandersetzung über den preußischen Wahlrechtskampf tüchtig versalzen hätte. Der Artikel ist inzwischen in der „Bremer Bürger-Zeitung“ erschienen.[2]

Niemand wird mir wohl übertriebene Schärfe vorwerfen, wenn ich dieses ganze Verfahren sehr – originell nenne.

Und nun einige Worte zur Sache. Der „Vorwärts" sucht jetzt meine Stellungnahme in der Frage, welche Taktik im preußischen Wahlrechtskampf anzuwenden wäre, als „Ausfälle" gegen – „die Parteigenossen Preußens“ hinzustellen. Er sucht mir die lächerliche Ansicht zuzuschreiben, die Wahlrechtsbewegung sei „zusammengebrochen“, weil man „meiner Anregung“ nicht gefolgt war. Um sich diesen Nonsens zu ermöglichen, verschweigt der „Vorwärts“ aber seinen Lesern wiederum die Tatsache, daß die „Anregung“ zur Massenstreikagitation im Frühjahr durchaus nicht von mir ausgegangen war, daß bereits wochenlang vor jeder Äußerung

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[1] Am 14. Juli 1910 hatte die Mehrheit der sozialdemokratischen Landtagsfraktion in Baden dem Budget zugestimmt. Auf dem Parteitag in Magdeburg vom 18. bis 24. September 1910 waren der Disziplinbruch und das prinzipienlose Verhalten der badischen Budgetbewilliger gegenüber dem Staat von der Mehrheit der Delegierten verurteilt und zum Teil ihr Ausschluß aus der Partei gefordert worden. – Im Jahre 1910 waren badische Sozialdemokraten wiederholt offiziellen Einladungen des badischen Großherzogs gefolgt.

[2] Siehe Rosa Luxemburg: Die badische Budgetabstimmung. In: GW, Bd. 2, S. 427–436.