Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 438

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den Taktik alle Gemüter in der Partei erregt; er nimmt nicht bloß selbst nicht Stellung zu der Frage, sondern berichtet nicht einmal seinen Lesern von der in der gesamten übrigen Parteipresse Preußens lebhaft geführten Diskussion. Dann erklärt er am 10. Juli, jetzt sei die Zeit gekommen, daß auch er, der „Vorwärts“, als Zentralorgan über die Diskussion zur Frage des Wahlrechtskampfes Bericht erstatte, denn solange die Aktion dauerte, hätte seine Teilnahme an der Diskussion auch nur in der Form einer Berichterstattung den verhängnisvollsten Eindruck auf – die bürgerliche Presse gemacht. Schön. Mitte Juli begann also der „Vorwärts“ über die Diskussion des Massenstreiks, die sich zum Schluß hauptsächlich zwischen dem Genossen Kautsky und mir in der „Neuen Zeit“ abspielte, zu referieren.[1] Und wie referiert er nun? Er bringt, nachdem er meine ersten Artikel in der Dortmunder „Arbeiter-Zeitung“ besprochen, in zwei Beilagen (Nr. 162 und 163) ein ausführliches Referat über den ersten Artikel Kautskys „Was nun?“, der die Diskussion in der „Neuen Zeit“ eröffnete[2], dann referiert er in einer Beilage über Pannekoeks Artikel, dann bringt er wieder in zwei Beilagen (Nr. 177 und 178) ausführlich die Antwort Kautskys gegen mich, „Eine neue Strategie“[3], von meiner Replik aber in der „Neuen Zeit“, „Ermattung oder Kampf?“[4], die auf den ersten Kautskyschen Artikel erfolgte und seinen zweiten hervorgerufen hatte – kein einziges Wort! Einfach ausgelassen. In seiner gestrigen Nummer vom 16. August hat er das Versäumte endlich nachgetragen.

Nicht genug. Der „Vorwärts“ hatte also erst über die beiden Kautskyschen Artikel referiert. Auch von meiner zweiten Antwort an Kautsky in der „Neuen Zeit“, „Die Theorie und die Praxis“[5], haben die Leser des „Vorwärts“ noch nicht eine Silbe erfahren. Und nun bringt der „Vorwärts“ unter dem Titel „Die totgesagte Wahlrechtsbewegung“ plötzlich am 7. August als erste eigne Stellungnahme zu der Diskussion den schärfsten Ausfall gegen meinen letzten Artikel in der „Neuen Zeit“, von dem er seinen Lesern noch absolut nichts mitgeteilt hatte!

„Genossin Luxemburg hatte im März dieses Jahres erklärt, es sei die Zeit gekommen, zu schärferen Mitteln als Straßendemonstrationen im

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[1] Am 10. Juli 1910 hatte der „Vorwärts“ ab Ne. 159 mit der neunteiligen .Artikelserie „Die Taktik im Wahlrechtskampf“ die Diskussion über den preußischen Wahlrechtskampf begonnen, auf die sich Rosa Luxemburg im folgenden bezieht.

[2] K. Kautsky: Was nun? In: Die Neue Zeit (Stuttgart), 28. Jg. 1909/10, Zweiter Band, S. 33–40 u. 68–80.

[3] K. Kautsky: Eine neue Strategie. In: Die Neue Zeit, 28. Jg. 1909/10, Zweiter Band, S. 332–341, 364–374 u. 412–421.

[4] Siehe Rosa Luxemburg: Ermattung oder Kampf? In: GW, Bd. 2, S. 344–377.

[5] Rosa Luxemburg: Die Theorie und die Praxis. In: GW, Bd. 2, S. 378–420.