Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 423

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tern unweigerlich die Illusion des Herrn Karl Heinzen erwecken, ihnen „die Ziele des proletarischen Klassenkampfes ... verschleiern“ und „den trügerischen Anschein hervorrufen“, als sei für die Sozialdemokratie die Republik „der Endzweck“, der Nabel der Welt! Heute, 60 Jahre nach der Märzrevolution, sollen wir unsere Agitation nach der Gefahr orientieren, die Karl Heinzen selig für das Klassenbewußtsein der Arbeiter im tollen Jahre bildete, nicht nach den leibhaftigen bürgerlichen Parteien des gegenwärtigen Deutschlands, die sich nicht in republikanische Illusionen „verbeißen“ wie der Selige, sondern in Speichelleckerei vor dem Throne!

„Durch vierzig Jahre dieser gründlichen Aufklärungsarbeit“, schrieb ich in meinem von der „Neuen Zeit“ abgelehnten Artikel, „ist es dann auch gelungen, die Überzeugung zum ehernen Besitz der aufgeklärten Proletarier in Deutschland zu machen, daß die beste bürgerliche Republik nicht weniger ein Klassenstaat und Bollwerk der kapitalistischen Ausbeutung ist als eine heutige Monarchie und daß nur die Abschaffung des Lohnsystems und der Klassenherrschaft in jeglicher Gestalt, nicht aber der äußere Schein der ‚Volksherrschaft‘ in der bürgerlichen Republik die Lage des Proletariats wesentlich zu verändern vermag.

Allein, gerade weil in Deutschland den Gefahren republikanisch-kleinbürgerlicher Illusionen durch die vierzigjährige Arbeit der Sozialdemokratie so gründlich vorgebeugt worden ist, können wir heute ruhig dem obersten Grundsatz unsres politischen Programms in unsrer Agitation mehr von dem Platz einräumen, der ihm von Rechts wegen gebührt.“[1]

Kann man deutlicher hervorheben, daß es mir nicht darauf ankommt, die Republik als „den Endzweck“ hinzustellen? Und kann man schlagender beweisen, daß der Leitartikel der „Neuen Zeit“ mit seinen Warnungen, Erklärungen und Zitaten nicht mich, sondern einzig und allein die alten Knochen Karl Heinzens zerschmettert – ein um so seltsamerer Genuß, als der arme Teufel bei seinen Lebzeiten schon Karl Marx’ mächtige Tatze zu spüren bekam und daran wohl auch im Schattenreich für alle Zeiten genug hat.

Was soll man nun weiter dazu sagen, wenn der Leitartikel uns belehrt, daß nicht die „Klassengesellschaft um die Monarchie als ihren Schwerpunkt kreist", sondern „daß die Monarchie je nachdem das bequemste Werkzeug der Klassenherrschaft ist“?[2] Der zweite Schriftführer unseres Wahlvereins in Buxtehude kann über dieses Thema einen glänzenden Vortrag ohne sonderliche Vorbereitung halten. Es ist das Abc der sozialdemo-

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[1] Rosa Luxemburg: Zeit der Aussaat. In: GW, Bd. 2, S. 302.

[2] Franz Mehring: Der Kampf gegen die Monarchie. In: Gesammelte Schriften, Bd. 15, S. 501.