Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 418

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senen Zelte des Kriegsrats ausgeheckter Coup, der flüsternd im geheimen vorbereitet wird, bald ist er „ein Elementarereignis, dessen Eintreten nicht nach Belieben herbeizuführen ist, das man erwarten, nicht aber festsetzen kann“[1]. Ich meine, daß die Aufgabe der Sozialdemokratischen Partei und ihrer Leitung weder im geheimnisvollen Aushecken von „großen Plänen“ noch im „Warten“ auf Elementarereignisse besteht. Massenstreiks können – wie ich deutlich in meinem ersten Artikel in der Dortmunder „Arbeiter-Zeitung“ schrieb – nicht auf Kommando der obersten Instanzen „gemacht“ werden, sie müssen aus der Masse und ihrer fortschreitenden Aktion sich ergeben. Aber diese Aktion politisch im Sinne einer energischen Taktik, einer kräftigen Offensive so vorwärtsführen, daß die Masse sich ihrer Aufgaben immer mehr bewußt wird, das kann die Partei, und das ist auch ihre Pflicht. Die Sozialdemokratie vermag nicht künstlich eine revolutionäre Massenbewegung zu schaffen, sie kann aber wohl unter Umständen durch ihre schwankende, schwächliche Taktik die schönste Massenaktion lähmen. Den Beweis liefert der mißlungene oder vielmehr gleich nach Beginn abkommandierte Wahlrechtsmassenstreik in Belgien im Jahre 1902[2]. Wie wirksam die Partei einen Massenstreik, dieses „Elementarereignis“, unter Umständen durch Bremsen verhindern kann, selbst wenn die Massen in hohem Grade kampfbereit sind, das hat Genosse Kautsky selbst über Österreich berichtet. „Trotzdem aber“, erzählte er uns, „trotzdem die Verhältnisse in Österreich den Massenstreik weit mehr begünstigen als bei uns und trotzdem die Massen in Österreich zeitweise zu einer Erregung gelangt waren, von der wir in Deutschland weit entfernt blieben, zu einer solchen Erregung, daß sie nur durch das äußerste Aufgebot aller Kräfte von dem Eintritt in den Massenstreik abgehalten werden konnten; trotzdem endlich wiederholt und in der positivsten Weise mit dem Massenstreik gedroht worden war, haben die für die Taktik der Partei verantwortlichen Genossen bisher auf das stärkste gebremst und den Massenstreik verhindert.“[3] Daß diese hemmende Rolle der Parteileitung am wirksamsten in Deutschland in die Erscheinung treten kann, ist selbstverständlich angesichts des außerordentlich ausgebildeten Organisationszentralismus und der Disziplin in unserer Partei.

„In einer Partei“, schrieb ich schon in meinem Artikel „Was weiter?“, „wo, wie in der deutschen, das Prinzip der Organisation und der Parteidisziplin so beispiellos hochgehalten wird, wo infolgedessen die Initiative

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[1] Ebenda, S. 421.

[2] Am 14. April 1902 hatte in Belgien ein Massenstreik begonnen, an dem sich über 300 000 Arbeiter beteiligten. Er wurde am 20. April vom Generalrat der belgischen Arbeiterpartei abgebrochen, obwohl die Forderungen nach Änderung des Wahlrechts und die damit verbundene Verfassungsänderung am 18. April von der belgischen Kammer abgelehnt worden waren.

[3] K. Kautsky: Mein Verrat an der russischen Revolution. In: Neue Zeit, XXIV, 2, S. 856. [Fußnote im Original]