Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 412

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letarischen Klassenkampfes auf den gegebenen staatlichen Grundlagen das Proletariat in der Situation jener Zeit am weitesten vorwärtsbringe. Man wird mir also nicht vorwerfen können, es sei das Bedürfnis, mich in Rrrevolution und Rrradikalismus zu berauschen, wenn mich die Beobachtung der heutigen Situation zu der Anschauung führt, daß die Verhältnisse seit dem Anfang der neunziger Jahre gründlich geändert sind, daß wir alle Ursache haben, anzunehmen, wir seien jetzt in eine Periode von Kämpfen um die Staatseinrichtungen und die Staatsmacht eingetreten, Kämpfe, die sich unter mannigfachen Wechselfällen durch Jahrzehnte hinziehen können, deren Formen und Dauer vorläufig noch unabsehbar sind, die aber höchst wahrscheinlich bereits in absehbarer Zeit erhebliche Machtverschiebungen zugunsten des Proletariats, wenn nicht schon seine Alleinherrschaft in Westeuropa herbeiführen.“ Und weiter: „In dieser allgemeinen Unsicherheit sind aber die nächsten Aufgaben des Proletariats klar gegeben. Wir haben sie bereits entwickelt. Es kommt nicht mehr vorwärts ohne Änderung der staatlichen Grundlagen, auf denen es seinen Kampf führt. Die Demokratie im Reich, aber auch in den Einzelstaaten, namentlich in Preußen und Sachsen, aufs energischste anzustreben, das ist seine nächste Aufgabe in Deutschland ; seine nächste internationale Aufgabe der Kampf gegen Weltpolitik und Militarismus.

Ebenso klar wie diese Aufgaben liegen auch die Mittel zutage, die uns zu ihrer Lösung zu Gebote stehen. Zu den bisher schon angewandten ist noch der Massenstreik getreten, den wir theoretisch bereits anfangs der neunziger Jahre akzeptierten, dessen Anwendbarkeit unter günstigen Umständen seitdem wiederholt erprobt wurde.“[1] [Hervorhebungen – R. L.]

In seiner „Sozialen Revolution“, im „Weg zur Macht“, in der „Neuen Zeit“ predigte Genosse Kautsky den deutschen Gewerkschaften den „politischen Streik“ als die „neue Taktik“, die immer mehr geboten sei angesichts der Tatsache, daß der rein gewerkschaftliche Streik durch die Unternehmerverbände immer mehr zur Erfolglosigkeit verurteilt werde. Diese Auffassung war es ja, die ihm im vergangenen Jahre die erbitterte Fehde mit dem „Correspondenzblatt der Generalkommission der Gewerkschaften [Deutschlands] “ eingetragen hat.

Jetzt will Genosse Kautsky ökonomische Streiks von politischer Aktion streng scheiden, jetzt erklärt er, daß alle Streiks in Westeuropa unbedingt „bestimmte Erfolge“ erreichen [müssen], sonst haben sie „ihren Zweck verfehlt“, und zu Mitteln, welche „das Proletariat organisieren, seine Einsicht und sein Kraftgefühl heben und das Zutrauen der Volksmasse zu

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[1] Karl Kautsky: Der Weg zur Macht, Berlin 1909, S. 52 f. u. 101 f. [Fußnote im Original]