siert und konzentriert“ und deshalb „immer seltener“[1] werden. In dem Jahrzehnt 1890 bis 1899 hatten wir in Deutschland insgesamt an Streiks und Aussperrungen 3 772, in den neun Jahren aber 1900 bis 1908, in der Zeit des größten Wachstums der Unternehmerverbände wie der Gewerkschaften, 15 994. Die Streiks werden so wenig „immer seltener“, daß sie vielmehr im letzten Jahrzehnt viermal zahlreicher geworden sind, wobei im ganzen in dem vorhergehenden Jahrzehnt 425142 Arbeiter an den Streiks beteiligt waren, in den letzten neun Jahren 1 709 415, wiederum viermal soviel, also im Durchschnitt pro Streik ungefähr die gleiche Zahl.
Nach dem Schema des Genossen Kautsky hätten ein Viertel bis die Hälfte aller dieser gewerkschaftlichen Kämpfe in Deutschland „ihren Zweck verfehlt“. Allein jeder gewerkschaftliche Agitator weiß sehr wohl, daß der „bestimmte Erfolg“ in Gestalt von materiellen Errungenschaften durchaus nicht der einzige Zweck, nicht der einzige maßgebende Gesichtspunkt bei den wirtschaftlichen Kämpfen ist und sein darf, daß die Gewerkschaftsorganisationen „in Westeuropa“ vielmehr auf Schritt und Tritt in die Zwangslage kommen, den Kampf auch mit geringen Aussichten auf „bestimmten Erfolg“ aufzunehmen, wie dies namentlich die Statistik der reinen Abwehrstreiks zeigt, von denen in den letzten neunzehn Jahren in Deutschland ganze 32,5 Prozent völlig erfolglos verliefen. Daß solche „erfolglosen“ Streiks indes nicht bloß „ihren Zweck“ nicht „verfehlt“ haben, sondern daß sie zur Verteidigung der Lebenshaltung der Arbeiter, zur Aufrechterhaltung der Kampfenergie in der Arbeiterschaft, zur Erschwerung künftiger neuer Angriffe des Unternehmertums eine direkte Lebensbedingung sind, das gehört ja zu den elementarsten Grundsätzen der deutschen Gewerkschaftspraxis. Es ist ferner allgemein bekannt, daß außer dem „bestimmten Erfolg“ an materiellen Errungenschaften und auch ohne diesen Erfolg die Streiks „in Westeuropa“ das vielleicht wichtigste Ergebnis haben, als Ausgangspunkt der gewerkschaftlichen Organisation zu dienen, und daß es namentlich in zurückgebliebenen Orten und in schwer zu organisierenden Arbeitszweigen meist solche „erfolglosen“ und „unüberlegten“ Streiks sind, aus denen immer wieder die Fundamente der Gewerkschaftsorganisation entstehen. Die Kampf- und Leidensgeschichte der Textilarbeiter im Vogtland, deren berühmtestes Kapitel der große Crimmitschauer Streik[2] bildet, ist ein einziger Beleg dafür. Mit der „Stra-
[1] Ebenda, S. 372.
[2] Im August 1903 waren in Crimmitschau etwa 8 000 Textilarbeiter für Zehnstundentag und Lohnerhöhung in den Streik getreten. Das Eingreifen der Staatsgewalt und die Verhängung des Kleinen Belagerungszustandes über Crimmitschau verliehen dem Streik politischen Charakter. Alle Versuche der Unternehmer, den Streik beizulegen, scheiterten an der Kampfentschlossenheit der Arbeiter, die durch die Solidarität der deutschen und internationalen Arbeiterklasse gestärkt wurde. Erst das Eingreifen reformistischer Gewerkschaftsführer gegen den Willen der Streikenden zwang die Arbeiter. im Januar 1904 die Arbeit bedingungslos wiederaufzunehmen.