Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 392

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dersee an der Spitze und den Sieg Trothas über die Hottentottenweiber und Kinder in der Kalahari[1].

Wie hieß es doch in dem schönen Artikel des Genossen Kautsky „Die Situation des Reiches“ im Dezember 1906 zum Schluß einer langen und detaillierten Schilderung:

„Man vergleiche die glänzende äußere Lage des Reiches bei seinem Beginn mit der heutigen Situation und man wird zugeben, daß nie ein glänzendes Erbe an Macht und Prestige rascher vertan ward …, niemals seit seinem Bestand war des Deutschen Reiches Stellung in der Welt schwächer und nie hat eine deutsche Regierung gedankenloser und launenhafter mit dem Feuer gespielt wie in der jüngsten Zeit.“[2]

Damals galt es allerdings den glänzenden Wahlsieg auszumalen, der uns bei den Wahlen 1907[3] erwartete, und die gewaltigen Katastrophen, die sich daraus nach Genossen Kautsky mit derselben Notwendigkeit ergeben sollten, mit der er sie jetzt auf die nächste Reichstagswahl folgen läßt.

Auf der anderen Seite konstruiert Genosse Kautsky auf Grund seiner Schilderung der ökonomischen und politischen Verhältnisse Deutschlands und Westeuropas eine Streikpolitik, die – an der Wirklichkeit gemessen – eine geradezu erstaunliche Phantasie ist. „Zum Streik“, versichert uns Genosse Kautsky, „greift der Arbeiter in Deutschland – und in Westeuropa überhaupt – nur als Kampfesmittel, wenn er die Aussicht hat, dadurch bestimmte Erfolge zu erzielen. Bleiben diese Erfolge aus, dann hat der Streik seinen Zweck verfehlt.“[4] Genosse Kautsky hat mit dieser Entdeckung ein hartes Urteil über die Praxis der deutschen und „westeuropäischen“ Gewerkschaften gesprochen. Denn was zeigt uns zum Beispiel die Statistik der Streiks in Deutschland? Von den 19 766 Streiks und Aussperrungen, die wir insgesamt seit 1890 bis 1908 hatten, sind ein ganzes Viertel (25,2 Prozent) völlig erfolglos, fast ein weiteres Viertel (22,5 Prozent) nur teilweise erfolgreich und weniger als die Hälfte (49,5 Prozent) ganz erfolgreich gewesen[5]. Ebenso kraß widerspricht diese Statistik der Theorie des Genossen Kautsky, wonach infolge der machtvollen Entwicklung der Arbeiterorganisationen wie der Unternehmerorganisationen „die Kämpfe zwischen diesen Organisationen ebenfalls immer mehr zentrali‑

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[1] 1899 war in Nordchina der Volksaufstand der Ihotuan ausgebrochen, der 1900 durch die vereinigten Armeen von acht Staaten unter Führung des deutschen Generals Alfred Graf von Waldersee grausam niedergeworfen wurde. China wurde gezwungen, hohe Kontributionen zu zahlen und der Errichtung von Stützpunkten für die Interventionsarmeen zuzustimmen. Das Eingreifen der deutschen Truppen ist auch als sogenannter Hunnenfeldzug bekannt geworden.

[2] Neue Zeit, XXV, 1, S. 427. [Fußnote im Original]

[3] Die Wahlen zum Reichstag (bekannt geworden als Hottentottenwahlen) hatten am 25. Januar und 5. Februar 1907 stattgefunden. Die Sozialdemokratie konnte ihre absolute Stimmenzahl von 3 Millionen im Jahre 1903 auf fast 3.3 Millionen 1907 steigern. Auf Grund der veralteten Wahlkreiseinteilung sowie der Stichwahlbündnisse der bürgerlichen Parteien gegen die Sozialdemokratie erhielt diese nur 43 Mandate gegenüber 81 im Jahre 1903.

[4] K. Kautsky: Eine neue Strategie. In: Die Neue Zeit, 28. Jg. 1909/10, Zweiter Band, S. 369.

[5] Correspondenzblatt der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands, 1909, Nr. 7, Statistische Beilage. [Fußnote im Original]