Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 390

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größte Teil der ökonomischen Errungenschaften nach der Niederlage der Revolution zusammen mit den politischen nach und nach wieder verlorengegangen. Aber das ändert offenbar nichts an dem Charakter der Streiks, solange die Revolution dauerte.

Nicht „gemacht“ und deshalb „planlos“, „von selbst“ wuchsen sich diese ökonomischen, partiellen und lokalen Konflikte alle Augenblicke zu allgemeinen politischen und revolutionären Massenstreiks aus, wie sie aus diesen wieder aufsprossen dank der revolutionären Situation und der hohen Spannung der Klassensolidarität in den proletarischen Massen. Nicht „gemacht“ und elementar war auch der Verlauf und der jeweilige Ausgang einer solchen allgemeinen politisch-revolutionären Aktion, wie er es in Massenbewegungen und in stürmischen Zeiten allezeit und überall bleiben wird. Will man aber den fortschrittlichen Charakter der Streiks und die „rationelle Streikführung“ an ihren unmittelbaren Erfolgen messen, wie dies Genosse Kautsky tut, dann hat die große Streikperiode in Rußland in den paar Jahren der Revolution an wirtschaftlichen und sozialpolitischen Erfolgen verhältnismäßig mehr durchgesetzt als die deutsche Gewerkschaftsbewegung in den vier Jahrzehnten ihrer Existenz. All dies ist freilich weder einem besonderen Heldentum noch einer besonderen Kunst des russischen Proletariats zu danken, sondern einfach den Vorteilen des Sturmschritts einer revolutionären Periode im Vergleich mit dem langsamen Gange der ruhigen Entwicklung im Rahmen des bürgerlichen Parlamentarismus.

Wie sagte doch Genosse Kautsky in seiner „Sozialen Revolution“, 2. Auflage, S. 63:

„Gegen diese ‚Revolutionsromantik‘ gibt es nur noch einen Einwand, der freilich um so häufiger vorgebracht wird, nämlich den, daß die Verhältnisse in Rußland nichts für uns in Westeuropa bewiesen, da sie von diesen grundverschieden seien.

Die Verschiedenheit der Verhältnisse ist mir natürlich nicht unbekannt, wenn man sie auch nicht übertreiben darf. Die jüngste Broschüre unserer Genossin Luxemburg beweist klar, daß die russische Arbeiterklasse nicht so tief steht und so wenig erreicht hat, als man gewöhnlich annimmt. Wie die englischen Arbeiter es sich abgewöhnen müssen, auf das deutsche Proletariat als ein rückständiges Geschlecht herabzusehen, so müssen wir in Deutschland uns das gleiche gegenüber dem russischen abgewöhnen.“ Und noch weiter: „Die englischen Arbeiter stehen als politischer Faktor heute noch tiefer als die Arbeiter des ökonomisch rückständigsten, politisch unfreiesten europäischen Staates: Rußland. Es ist ihr lebendiges

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