Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 385

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Dieses „politische Testament“ von Friedrich Engels wird allenfalls in eigentümlicher Weise vom Genossen Kautsky ausgelegt, indem er die Erörterung der Notwendigkeit einer Agitation für die Republik als „völlig neue Agitation“, die angeblich „stets von der Partei verworfen wurde“, aus der „Neuen Zeit“ verbannt.

Was aber Marx betrifft, so ging er in seiner Kritik des Gothaer Programms so weit, daß er erklärte: habe man nicht die Möglichkeit, offen die Republik als oberste politische Programmforderung aufzustellen, dann dürfe man auch nicht all die anderen demokratischen Detailforderungen im Programm aufzählen. Er schreibt über das Gothaer Programm:

„Seine politischen Forderungen enthalten nichts, außer der aller Welt bekannten demokratischen Litanei: allgemeines Wahlrecht, direkte Gesetzgebung, Volksrecht, Volkswehr etc… .

Aber man hat eins vergessen. Da die deutsche Arbeiterpartei ausdrücklich erklärt, sich innerhalb ‚des heutigen nationalen Staats‘, also ihres Staats, des preußisch-deutschen Reichs, zu bewegen …, so durfte sie die Hauptsache nicht vergessen, nämlich daß alle jene schönen Sächelchen auf der Anerkennung der sog. Volkssouveränität beruhn, daß sie daher nur in einer demokratischen Republik am Platze sind.

Da man nicht in der Lage ist – und weislich, denn die Verhältnisse gebieten Vorsicht (Notabene, Marx schrieb dies vor fünfunddreißig Jahren, in der Ära Tessendorf[1], als das Sozialistengesetz seine Schatten vorauswarf – R. L.) –, die demokratische Republik zu verlangen, wie es die französischen Arbeiterprogramme unter Louis-Philippe und unter Louis-Napoleon taten – so hätte man auch nicht zu der … Finte flüchten sollen (die Punkte ersetzen ein burschikoses Adjektiv von Marx – R. L.), Dinge, die nur in einer demokratischen Republik Sinn haben, von einem Staate zu verlangen, der nichts andres als ein mit parlamentarischen Formen verbrämter, mit feudalem Beisatz vermischter, schon von der Bourgeoisie beeinflußter, bürokratisch gezimmerter, polizeilich gehüteter Militärdespotismus ist.

Selbst die vulgäre Demokratie, die in der demokratischen Republik das Tausendjährige Reich sieht und keine Ahnung davon hat, daß grade in dieser letzten Staatsform der bürgerlichen Gesellschaft der Klassenkampf definitiv auszufechten ist – selbst sie steht noch berghoch über solcher Art Demokratentum innerhalb der Grenzen des polizeilich Erlaubten und logisch Unerlaubten.“[2]

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[1] Hermann Tessendorf war von 1873 bis 1879 Erster Staatsanwalt am Berliner Stadtgericht und als Organisator der Sozialistenverfolgungen berüchtigt. Seit 1886 war er Oberreichsanwalt in Leipzig.

[2] Neue Zeit, IX, 1, S. 573. [Karl Marx: Kritik dcs Gothaer Programms. In: Karl Marx, Friedrich Engels: Werke, Bd. 19, Berlin 1969, S. 29.] [Fußnote im Original]