Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 386

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Also auch Marx führte eine ganz andere Sprache in puncto Republik. Marx wie Engels ließen – auf Versicherungen aus Deutschland hin – kurz vor und gleich nach dem Sozialistengesetz allenfalls noch gelten, daß es vielleicht nicht anginge, die Forderung der Republik im Programm in aller Form aufzustellen. Daß aber diese Forderung heute, ein Vierteljahrhundert später, in der Agitation – und nur um diese handelte es sich ja – als etwas „völlig Neues“ und Unerhörtes gelten sollte, davon ließen sich die beiden sicher nicht träumen.

Genosse Kautsky beruft sich freilich darauf, daß er in der „Neuen Zeit“ schon „ganz anders“ die Republik propagiert habe, als ich es in meiner harmlosen Art jetzt tue. Er muß es ja besser wissen, mich läßt mein Gedächtnis in diesem Falle etwas im Stich. Bedarf es aber eines überzeugenderen Beweises, daß in dieser Hinsicht auf Schritt und Tritt in der Praxis nicht das Nötige getan wird, als der Vorgänge der jüngsten Tage? Die Erhöhung der preußischen Zivilliste[1] bot wiederum die denkbar glänzendste Gelegenheit und schuf zugleich für die Partei die unabweisbare Pflicht, die Losung der Republik scharf und klar hervorzukehren und für ihre Propaganda zu sorgen. Die freche Herausforderung, die in dieser Regierungsvorlage unmittelbar nach dem schmählichen Ende der Wahlrechtsvorlage lag, hätte unbedingt mit der Aufrollung der politischen Funktion der Monarchie und des persönlichen Regiments in Preußen-Deutschland beantwortet werden müssen, mit der Hervorhebung ihres Zusammenhanges mit dem Militarismus, Marinismus, dem sozialpolitischen Stillstand, mit der Erinnerung an die berühmten „Reden“ und „Aussprüche“ von der „Rotte von Menschen“, der „Kompottschüssel“, mit der Erinnerung an die Zuchthausvorlage[2], mit der Beleuchtung der Monarchie als des sichtbaren Ausdrucks der ganzen reichsdeutschen Reaktion. Die rührende Einmütigkeit sämtlicher bürgerlichen Parteien bei der byzantinischen Behandlung der Vorlage zeigte wieder einmal drastisch, daß die republikanische Losung in dem heutigen Deutschland zum Erkennungswort der Klassenscheidung, zur Parole des Klassenkampfes geworden ist. Nichts von alledem ist in der „Neuen Zeit“ wie im „Vorwärts“ geschehen. Nicht von politischer Seite, sondern hauptsächlich als Geldfrage, als Frage des Einkommens der Familie Hohenzollern ist die Erhöhung der Zivilliste behandelt und mit mehr oder weniger Witz breitgetreten, nicht mit

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[1] Am 9. Juni 1910 war im preußischen Abgeordnetenhaus gegen die Stimmen der Sozialdemokraten der Gesetzentwurf über die Erhöhung der Krondotation angenommen worden. Die Vorlage brachte für den preußischen Hof eine zusätzliche Bewilligung von 3,5 Millionen, so daß ihm jährlich insgesamt 19,2 Millionen Mark aus staatlichen Mitteln zur Verfügung gestellt werden mußten.

[2] Am 20. Juni 1899 hatte die Regierung im Reichstag einen Gesetzentwurf „zum Schutz der gewerblichen Arbeitsverhältnisse, die sogenannte Zuchthausvorlage, eingebracht, die sich gegen die zunehmende Streikbewegung richtete und die Beseitigung des Koalitions- und Streikrechts der Arbeiter bezweckte. Auf Grund gewaltiger Massenaktionen konnte diese Vorlage am 20. November 1899 im Reichstag gegen die Stimmen der Konservativen zu Fall gebracht werden.