Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 383

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nämlich, nachdem mir Genosse Kautsky trotz der Zustimmung, die ich zwar mit Achselzucken, aber mit Resignation zur Streichung des Kapitels über die Republik gegeben, doch schließlich den ganzen Artikel über den Massenstreik retourniert hatte, die von ihm verpönten Seiten „29 bis Schluß“, ohne ein Wort daran zu ändern, mit Einleitung und Abschluß versehen und als selbständigen Artikel unter dem Titel „Zeit der Aussaat“ in der Breslauer „Volkswacht“ vom 25. März veröffentlicht[1], worauf er von einer Reihe von Parteiblättern, soviel ich mich erinnere in Dortmund, Bremen, Halle, Elberfeld, Königsberg und in thüringischen Blättern, nachgedruckt worden ist. Das alles war sicher kein Heldenstück von mir, es ist bloß mein Pech, daß Genosse Kautsky ebenso flüchtig die Parteipresse in jener Zeit las, wie er die Stellung der Partei zur Losung der Republik überlegte. Hätte er nämlich reiflicher die Sache überlegt, so konnte er unmöglich in der Frage der Republik Marx und Engels gegen mich ins Feld führen. Der Engelssche Aufsatz, auf den Genosse Kautsky verweist, ist die Kritik des vom Parteivorstand ausgearbeiteten Entwurfes des Erfurter Programms vom Jahre 1891. Hier sagt Engels im Kapitel II „Politische Forderungen“:

„Die politischen Forderungen des Entwurfs haben einen großen Fehler. Das, was eigentlich gesagt werden sollte, steht nicht drin. Wenn alle diese 10 Forderungen bewilligt wären, so hätten wir zwar diverse Mittel mehr, um die politische Hauptsache durchzusetzen, aber keineswegs die Hauptsache selbst.“[2]

Die dringende Notwendigkeit, diese „Hauptsache“ der politischen Forderungen der Sozialdemokratie klarzustellen, begründet Engels mit dem Hinweis auf den „in einem großen Teil der sozialdemokratischen Presse einreißenden Opportunismus“[3]. Dann fährt er fort:

„Welches sind nun diese kitzligen, aber sehr wesentlichen Punkte?

Erstens. Wenn etwas feststeht, so ist es dies, daß unsre Partei und die Arbeiterklasse nur zur Herrschaft kommen kann unter der Form der demokratischen Republik. Diese ist sogar die spezifische Form für die Diktatur des Proletariats, wie schon die große französische Revolution gezeigt hat. Es ist doch undenkbar, daß unsre besten Leute unter einem Kaiser Minister werden sollten wie Miguel. Nun scheint es gesetzlich nicht anzugehn, daß man die Forderung der Republik direkt ins Programm setzt, obwohl das sogar unter Louis-Philippe in Frankreich ebenso zu‑

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[1] Rosa Luxemburg: Zeit der Aussaat. In: GW, Bd. 2, S. 300–304.

[2] Friedrich Engels: Zur Kritik des sozialdemokratischen Programmentwurfs 1891. In: Karl Marx, Friedrich Engels: Werke, Bd. 22, Berlin 1970, S. 233.

[3] Ebenda, S. 234.